Journalist Ulrich Schäfer über die Gefahr von al-Kaida für unsere Wirtschaft

"Wir brauchen eine andere Politik"

Der Krieg in Libyen ist ein Wirtschaftskrieg, meint der Ressortleiter der Süddeutschen Zeitung, Ulrich Schäfer. Darüber hinaus sei die Wirtschaft, das Rückgrat unserer Gesellschaft, in Gefahr durch den islamistischen Terror, schreibt er in seinem neuen Buch "der Angriff", über das er im domradio.de-Interview spricht.

 (DR)

domradio.de: Ganz kurz: Wie äußert sich die Tatsache, dass al-Kaida einen Wirtschaftskrieg gegen unsere Gesellschaft führt?

Schäfer: Es äußert sich darin, dass al-Kaida sich ganz gezielt Ziele heraus sucht, die für unsere wirtschaftliche Stabilität relevant ist. Dazu gehören Flugzeuge, Paketflugzeuge, dazu gehören Verkehrsnetze in Großmetropolen, mit denen die Menschen zur Arbeit kommen. Dazu gehören Ölanlagen, Pipelines, Öltanker, all dies attackiert al-Kaida, weil al-Kaida weiß, dort ist unsere Gesellschaft besonders verletzlich.



domradio.de:  Was ist ihre Empfehlung, braucht es mehr Sicherheitsmaßnahmen, um sich gegen diesen islamistischen Terror zu schützen?

Schäfer: Ja, die braucht es durchaus. Gerade an den zentralen Knotenpunkten unserer globalen Wirtschaft  ist es notwendig, dass wir die Sicherheit verstärken. Dies wird ja teilweise schon getan. Sie haben ja Köhler und Guttenberg erwähnt und den Begriff der Wirtschaftskriege, das ist natürlich ein zugespitzter Begriff, aber letztlich ist der Einsatz der Bundeswehr vor Somalia nicht einer, der nur dazu dient, humanitäre Hilfe zu leisten oder Piraten aufzugreifen, sondern letztlich auch unsere Wirtschaft zu schützen, einen wichtigen Handelsweg zu schützen. Köhler hat dies damals sehr deutlich ausgesprochen und dafür, wie ich meine, völlig zu Unrecht Kritik bekommen.



domradio.de:  Altbundespräsident Köhler aber auch Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg haben das Thema Wirtschaftskriege auf die Agenda gebracht und sind dafür heftig kritisiert worden. Warum?

Schäfer: Weil sie etwas deutlich gesagt haben, was, lustiger weise, Wort für Wort im entsprechenden Beschluss des Bundestages drinsteht, mit dem das Mandat damals beschlossen wurde; und eigentlich haben sie nur das wiederholt. Aber: In Deutschland hielt sich, zumindest bis zum letzten Herbst, immer noch der Glaube, Deutschland führe keine Kriege. Auch der Einsatz in Afghanistan wurde ja erst im letzten Herbst von Guttenberg und Merkel als Krieg bezeichnet und die Deutschen tun sich immer noch schwer damit zu sagen, ihre Bundeswehr führt Krieg. Und erst Recht tun sie sich schwer damit zu sagen, dass hinter diesem Krieg wirtschaftliche Interessen stehen, weil eigentlich, so sagen das zumindest die Kritiker von Köhler und Guttenberg, die Bundeswehr zur Landesverteidigung da sei, aber der Begriff der Landesverteidigung ist eben einer, der in einer Welt, in der die Wirtschaft global geworden ist, einer ist, der eins zu eins so nicht funktioniert.



domradio.de: Sie sagen, dass der Krieg in Libyen ein Wirtschaftskrieg sei. Glauben Sie, dass Wirtschaftskriege richtig und wichtig sind?

Schäfer: Das muss man differenzieren: Ein Einsatz wie die Operation Atalanta, ein defensiver Einsatz, der dazu dient, Handelswege zu schützen - das ist sicher ein richtiger Einsatz. Auf dem Weg durch den Golf von Aden sind wichtige Frachtschiffe unterwegs, sind Öltanker unterwegs. Wenn diese Route gestört würde, unterbrochen würde, wie zum Beispiel in der Suez-Krise, dann hätte das gravierende Folgen für unsere Wirtschaft. Und es ist ja auch so: al-Kaida hat das bereits versucht. Sie haben mehrere Anschläge im Golf von Aden versucht, gegen amerikanische Kriegsschiffe, sie haben einen französischen Öltanker attackiert und schwer beschädigt. All dies ist im Westen gar nicht so richtig wahrgenommen worden. Deswegen ist es aber wichtig, diese Routen zu schützen.



Skeptisch bin ich, was solche Kriege angeht, wie in Irak oder in Libyen, wo mit ungeheurem Aufwand,  mit sehr viel Geld versucht wird, ein Land unter Kontrolle zu bringen. Und in der Tat: Libyen, das wird bei uns gar nicht so richtig wahrgenommen, ist, meiner Meinung nach, auch ein Wirtschaftskrieg. Denn: In Libyen geht es um Öl, um Gas, um riesige Vorkommen, die für Europa extrem wichtig sind. Und deswegen waren die Amerikaner, aber vor allem auch die Europäer sehr schnell dabei, um ihre Flugzeuge nach Libyen zu schicken. Wir haben in Syrien eine ganz ähnliche Situation: Auch einen Despoten, der sehr brutal gegen seine eigene Bevölkerung vorgeht und es passiert nichts, kein Kriegseinsatz, weil: Syrien ist eben längst nicht so wichtig, als Öllieferant und schon gar nicht als Gaslieferant.



domradio.de: Ist es unvermeidlich, dass unsere Gesellschaft paranoide Züge bekommt?

Schäfer: Unvermeidlich nicht. Die paranoiden Züge kommen letztlich auch ein bisschen daher, dass wir den Terror falsch einschätzen, dass wir seit zehn Jahren glauben, dass es im Wesentlichen um einen religiösen Glaubenskrieg geht, den al-Kaida gegen uns führt und uns letztlich mit dem islamischen Glauben überziehen will. Das ist aber letztlich nicht das entscheidende Ziel von al-Kaida, sondern al-Kaida will den Westen niederringen, ihn schwächen und dadurch zum Rückzug aus der arabischen Welt zwingen, um damit den Rückhalt für die arabischen Despoten zu zerstören und letztlich dann den Weg frei zu machen, für einen islamischen Gottesstaat. Insofern blicken wir auf al-Kaida seit zehn Jahren eigentlich aus einer falschen Richtung und mein Ansatz ist zu sagen, wir müssen uns angucken, was al-Kaida wirklich will. Es geht eben um die Schwächen  unseres Wirtschaftssystems und deswegen brauchen wir eine andere Politik, die weniger auf Militär, weniger auf Geheimdienste setzt, sondern stärker darauf setzt, unsere Wirtschaft zu schützen, unsere Handelswege zu schützen, die Globalisierung zu schützen,  die Finanzzentren zu sichern, aber eben auch etwas dafür zu tun, dass in der arabischen Welt, jene Länder, in denen der Terror blüht und die Armut sehr groß ist, wirtschaftlich voran kommen.



Das Interview führte Christian Schlegel.



Info: Das Buch ist im Campus-Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro.