Sportwissenschaftler über Ergebnisse eines Vergleichs

Bei Stress hilft Beten so gut wie Laufen

Er verkabelte seine betenden Probanden und befragte Läufer nach spirituellen Erfahrungen - der Sportwissenschaftler Stefan Schneider hat eine Studie über die Auswirkungen des Betens auf den Körper verfasst. Seine These: Laufen und Beten können ähnliche Entspannungsprozesse im Körper hervorrufen.

 (DR)

KNA: Herr Dr. Schneider, was bitte haben Laufen und Beten gemeinsam?

Stefan Schneider, Bewegungs- und Neurowissenschaftler an der Deutschen Sporthochschule Köln: Ein Gebet und eine körperliche Aktivität haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. Wir haben uns aber die Frage gestellt, ob nicht beide in ähnlicher Weise zu einer Veränderung der Befindlichkeit führen. Läufer berichten davon, dass sie beim Sport abschalten können und danach entspannter sind. Der positive Einfluss von Meditation auf die Physiologie des Menschen ist gut untersucht. Der von einem Gebet aber überhaupt nicht. Und ein Gebet kann ja auch meditativ sein.



KNA: Wie haben sie die Zusammenhänge untersucht?

Schneider: Die Untersuchung bestand aus drei Studien. In der Ersten fanden wir heraus, dass die Probanden nach durchschnittlich 28 Minuten Beten eine spürbare Verbesserung der körperlichen Gesundheit angaben. Das war schon erstaunlich, denn es ist ja klar, dass man in 28 Minuten nicht wirklich gesünder werden kann. Aber man fühlt sich gesünder, bewertet das eigene Empfinden anders. Was da genau passiert, haben wir versucht im zweiten Teil herauszufinden: Wir haben bei den Probanden verschiedene Parameter beim Beten gemessen, zum Beispiel die Hirnströme mit einem EEG.



KNA: Was kam dabei raus?

Schneider: Das Ergebnis war auch hier überraschend. Wir haben eine Abnahme der Aktivität im Frontalkortex erwartet, was im allgemeinen mit Entspannungszuständen einhergeht. Die Aktivität bei den betenden Probanden im Frontalkortex veränderte sich kaum, sie waren also geistig nicht entspannt. Während bei den Läufern weniger Aktivität zu messen war, was dem beschriebenen "Abschalten" entspricht.



KNA: Wie erklären Sie sich das?

Schneider: Beten ist ja nicht gleich Beten. Es macht einen Unterschied, ob jemand einen Rosenkranz betet, in der Bibel liest oder im Zwiegespräch mit Gott ist. Ein Proband sagte, dass Beten für ihn durchaus auch aufreibend sein könne. Das christliche Gebet hat eher einen dialogischen Charakter. Dialog braucht Kognition und eine Aktivierung bestimmter Areale im Frontallappen.



KNA: Was war der dritte Teil der Untersuchung?

Schneider: Wir haben Sportstudenten nach einer 45-minütigen Laufeinheit gefragt, inwieweit sie eine spirituelle Veränderung wahrnehmen können. Das Ergebnis war negativ. Allerdings gaben die Probanden an, dass solch ein Lauf für die alltägliche Stressbewältigung sehr nützlich sei - etwas, was bei vergleichbaren Studien zur Wirkung eines spirituellen Lebens auch berichtet wird.

Auf dieser Ebene gleichen sich also Sport und Gebet.



KNA: Beten hat also auch eine körperliche Wirkung und Laufen eine geistige. Das klingt nach verkehrter Welt.

Schneider: Ja. Allerdings darf man nicht zu sehr verallgemeinern: Beides kann vergleichbare Wirkungen haben. Die Stressparameter nehmen zum Beispiel ab, die Menschen fühlen sich besser. Aber Laufen kann Beten nicht ersetzen und umgekehrt. Und genauso darf man dem Laufen auch keine religiöse Bedeutung anheften.



KNA: Die größte Gemeinsamkeit ist also, dass beide Gruppen nach ihrer Aktivität entspannter sind?

Schneider: Entspannt ist zu platt formuliert. Es geht insgesamt um die Frage, wie ein Wohlbefinden von Geist und Seele erreicht wird. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert ja Gesundheit als einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen. Den Grundsatz dazu beschreibt das benediktinische "ora et labora" eigentlich ganz gut: Es geht um die Balance zwischen Spannung und Entspannung. Das Gleichgewicht ist für das körperliche und seelische Wohlbefinden wichtig. Wie das erreicht wird, ist nachrangig. Wichtig ist nur, dass Entspannung eine sehr individuelle Angelegenheit ist.  



KNA: In der Zeit, als der Grundsatz "Bete und arbeite" entstand, war schwere körperliche Arbeit normal. Das ist heute anders...

Schneider: Ja, und trotzdem kann man nicht allgemein sagen: Geh laufen und du fühlst dich besser. Das hängt ganz entscheidend davon ab, was ein Mensch will und was er bereit ist, dafür zu tun. Für viele Menschen ist das abendliche Entspannungsprogramm ja der Fernseher.



KNA: Wie halten Sie es denn mit der Entspannung und dem Wohlbefinden? Laufen oder beten Sie?

Schneider: Laufen! Ich war schon als Kind hyperaktiv - und brauche von daher ein geeignetes Maß an Bewegung.



Das Interview führte Hendrik Maaßen (KNA)