Wirtschaftsethiker Demele hält die Afrika-Politik der Bundesregierung für zynisch

Kein Herzensthema

Eine Million Euro hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel für ein Flüchtlingslager im Norden Kenias auf ihrer Afrikareise im Gepäck: Ein Tropfen auf den heißen Stein. "Solange es da keine Märkte gibt, die man attraktiv entwickeln kann, wird auch die deutsche Außenpolitik wahrscheinlich Afrika weiter sehr stiefmütterlich behandeln", sagt der Theologe Markus Demele vom Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik in Frankfurt und erläutert, warum uns Europäern Afrika so weit weg erscheint.

 (DR)

domradio.de: Deutschland hat zur Rettung der Menschen am Horn von Afrika 6 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Großbritannien immerhin 60 Millionen. Zur Rettung Griechenlands gab es hunderte Milliarden. Wie beurteilen Sie dieses Ungleichgewicht?--
Demele: Das Ungleichgewicht lässt sich in dieser Einfachheit natürlich nicht erfassen. Wir haben zwei Problemfelder globaler Politik vorliegen. Beide sind auf ihre jeweils eigene Weise ganz dringlich und wichtig, trotzdem gibt es natürlich ganz gravierende Unterschiede. Wie Sie in Ihrer Anmoderation ja schon gesagt haben: Während man bei der sogenannten Euro-Rettung davon ausgehen muss, dass es bei bestimmten Maßnahmen, die gar nicht genau abzusehen sind, zu Wohlstandsverlusten kommen kann, sei es in Griechenland oder anderen Ländern, vielleicht aber auch in Deutschland, geht es in der der Situation in Ostafrika darum, die nach Aussage der UNO schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt abzuwenden, also eine Hungerkatastrophe. Die 440 Milliarden, die zur Rettung des Euro im Gespräch sind, werden in Form von Sicherheiten bereitgestellt, das ist ja kein Geld, das direkt ausgezahlt würde. Die Gelder, die jetzt jedoch dort in Ostafrika benötigt werden, müssen direkt eingesetzt werden, um Lebensmittel zu kaufen, um direkte Katastrophenhilfe zu leisten. Trotzdem kann man diese Zahlen doch mittelbar miteinander vergleichen, denn sie stehen ja in dem Kontext dessen, was für welche Länder dieser Welt getan wird. Und da liegt ja der Unterschied: Dass die Dimensionen anders sein müssten, ist ja schon seit langem deutlich. Denken wir z.B. an die Versprechen der G20 im Jahr 2009. Da wurde zugesagt, allein für die landwirtschaftliche Entwicklung und den Kampf gegen den Hunger bis 2013 22 Milliarden zur Verfügung zu stellen. Gezahlt wurde davon de facto bisher nur ein Fünftel.



domradio.de: Woher kommt das denn, dass wir wegschauen, wenn es um den afrikanischen Kontinent geht, und die Ressourcen nicht besser und gleichmäßiger verteilen. Ist es die Angst vor dem eigenen Wohlstandsverlust?--
Demele: Das würde ich dem einzelnen Bürger gar nicht unterstellen wollen. Zum einen ist Afrika natürlich weit weg. Es ist für viele immer noch der unbekannte Kontinent und leider gibt es in den letzten Jahren auch einen Trend zur Zuschreibung selbstverschuldeter Ursachen, dass viele auch in entwicklungspolitischen Diskussionen davon ausgehen, dass Korruption und andere interne Probleme der Länder eigentlich die Entwicklung lähmen und von außen gar nicht viel zu machen sei. Das ist eine sehr bequeme Sicht, die allerdings an der eigentlichen Problemlage vorbeigeht, denn viele Länder stehen ja vor dem Problem, dass sie sich gar nicht so in die Weltwirtschaft integrieren können, wie sie das eigentlich selbst wollen. Das heißt, sie haben gar nicht die Möglichkeit, ihre eigenen Stärken, wie z.B. niedrige Arbeitskosten, auszuspielen. Das liegt vor allem daran, dass es ein unfaires Welthandelsregime gibt, wir haben ja eine Welthandelsrunde, die Doha-Runde, die nicht zum Abschluss kommt, weil die reichen Länder sich nicht mit den armen Ländern auf bestimmte Handelsquoten einigen können. Das ist ein Beispielfeld.



domradio.de: Alle sprechen von der schlimmsten Ernährungskrise am Horn von Afrika, vor allem in Somalia, seit 20 Jahren. Wo sehen Sie angesichts dieser Hungerkatastrophe die Hilfspflichten des gesamten Globusses?--
Demele: Es ist natürlich leicht, jetzt auf diese eine Katastrophe zu schauen und zu sagen, wir brauchen die Summe X. Die variiert jetzt: Die UNO sagt, 300 Millionen Dollar werden akut benötigt; die Entwicklungshilfeorganisationen sprechen von mittelfristig mindestens 1 Milliarde, nur um jetzt kurzzeitig den Hunger zu stillen. Ich finde es ja gut, dass Sie erst einmal davon ausgehen, dass es diese globalen Hilfspflichten der internationalen Gemeinschaft überhaupt gibt, denn das wird teilweise ja auch bestritten. Das ist aber wichtig festzuhalten: Wir haben heute global die Ressourcen, um Armut oder zumindest Hunger weltweit so zu bekämpfen, dass er Geschichte ist. Also wir sind vielleicht die erste Generation, die dazu wirklich global die Möglichkeiten hat. --


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domradio.de: Dennoch tut diese Generation es nicht. Wie kann die Menschheitsgemeinschaft diese Möglichkeiten schaffen, die Rechte der Armen wirksam durchzusetzen? --
Demele: Das ist die große schwierige Frage von Global Governance. Ich glaube, da spielen die Machtstrukturen auf diesem Globus und auch in den einzelnen Ländern eine große Rolle. Das heißt, Machtstrukturen manifestieren sich ganz stark dadurch: Wer hat Kapital, wer hat Geld? Das heißt, die Interessen großer internationaler Unternehmen spielen eine vorgelagerte Rolle. Und da muss man ganz klar sagen, dass die Märkte vieler afrikanischer Länder - zumindest noch nicht - als so wichtig und relevant anerkannt werden. Im chinesischen Bereich ist das ganz anders: Da ist Afrika schon ein ganz interessanter Handelspartner geworden. Aber solange es da keine Märkte gibt, die man attraktiv entwickeln kann, wird auch die deutsche Außenpolitik wahrscheinlich Afrika weiter sehr stiefmütterlich behandeln.



domradio.de: Aber gerade eben war Bundeskanzlerin Merkel wegen dieser Märkte in diesen armen Ländern Afrikas zu Besuch. Wie beurteilen Sie die Reise der Kanzlerin unter dem Aspekt der Hungerkatastrophe in diesen Ländern?  --
Demele: Ich muss sagen, es ist eigentlich zynisch gewesen: Man merkt, dass für Frau Merkel das Thema Afrika kein Herzensthema ist, wie es das z.B. bei Horst Köhler war, der viel Zeit auf dem afrikanischen Kontinent verbracht hat. Zweierlei Dinge fallen auf: Zum einen war die begleitende Wirtschaftsdelegation, die sonst bei allen Auslandsreisen des Außenministers oder der Bundeskanzlerin ja immer einen großen Tross darstellt, sehr überschaubar und sehr, sehr klein. Da kann Frau Merkel nichts für, aber es ist natürlich auch eine Frage, wie interessiere ich Unternehmen für diese bedeutenden und wichtigen Märkte. Denn Unternehmen können natürlich bei der dortigen Entwicklung eine ganz bedeutende Rolle spielen. Der andere Zynismus ist die Höhe der angebotenen Geldbeträge: Eine Million Euro wurde direkt für ein Flüchtlingslager im Norden Kenias bereitgestellt oder wurde sozusagen im Gepäck mitgebracht. Das ist ein Lager mit 350.000 Menschen - bei einer Million wird jedem Hörer wohl deutlich, dass das weniger als der Tropfen auf den heißen Stein ist. Grundsätzlich ist die Entwicklungspartnerschaft mit den afrikanischen Ländern auf dem Papier und in vielen Strategiepapieren relevant und wichtig, in den tatsächlichen Zahlungen und den tatsächlichen Kooperationsbemühungen drückt sich das aber leider nicht aus.



domradio.de: In wenigen Minuten kommen die Euro-Finanzminister zusammen, um den Euro zu retten. Frau Merkel und Herr Sarkozy sind beide für eine Beteiligung privater Gläubiger und gegen einen Schuldenschnitt. Wofür plädieren Sie? --
Demele: Der Schuldenschnitt ist mit Sicherheit sinnvoll, wobei ich ganz klar sagen muss, als Ökonom kann man nicht absehen, was wirklich passieren wird. Die Beteiligung privater Gläubiger hat natürlich auch große Auswirkungen darauf, wie später die Kreditwürdigkeit Griechenlands aussehen kann. Ich glaube, das Problem ist für jeden einzelnen europäischen Staat in einer neuen Steuergerechtigkeit zu suchen, denn die hohe Staatsverschuldung in jedem Land hat ja ihre Ursache in einer ungerechten Steuerverteilung.



domradio.de: Wenn der Euro gerettet werden kann oder auch wenn nicht, was hat Europa für Afrika zu tun? --
Demele: Mit Sicherheit, indem die Partnerschaft auf Augenhöhe, wie sie immer so gern genannt wird, tatsächlich gelebt und praktiziert wird. Das drückt sich zum einen in faireren Handelsregelungen aus, zum anderen aber auch in ganz konkreter Hilfe, die sich dann auch in Euros umrechnen lassen muss.



Interview: Monika Weiß



Diplom-Theologe Markus Demele ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik und Referent für die Fachbereiche Jura und Wirtschaftswissenschaften an der Katholischen Hochschulgemeinde an der Universität Frankfurt am Main.



Das Oswald von Nell-Breuning-Institut wurde 1990 von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen gegründet.  Es dient der Forschung und Politikberatung aus der Perspektive der Christlichen Sozialethik, insbesondere der Wirtschaftsethik. Damit steht es in der Tradition der Katholischen Soziallehre, als deren Nestor Pater von Nell-Breuning (1890-1991) in seinen letzten Lebensjahrzehnten galt. Schwerpunkte der Arbeit sind die Zukunft der Erwerbsarbeit und des Sozialstaats sowie die Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten und in der Weltwirtschaft insgesamt.