Ein Jahr nach dem Loveparade-Unglück

"Ganz verheilt ist noch nichts"

Auch ein Jahr nach dem Loveparade-Unglück liegen "Wunden noch offen", sagt Joachim Müller-Lange. Im Interview mit domradio.de spricht der Landespfarrer für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland über die Folgen und die bevorstehende Trauerfeier.

 (DR)

domradio.de: Am Sonntag jährt sich die Massenpanik auf der Loveparade, die 21 Todes-opfer gefordert hat. Was ist da bisher verheilt?  

Müller-Lange: Ganz verheilt ist sicherlich noch gar nichts. Die Wunden liegen noch offen. Es ist gerade für die Angehörigen bitter gewesen, dass es so lange gedauert hat, bis - zumindest moralisch - die Verantwortung übernommen worden ist von der Stadt Duisburg und ihrem Oberbürgermeister. Das wird langfristig zur weiteren Heilung beitragen, aber sicherlich nicht kurzfristig. Angehörige wollten zunächst mal verstehen, was da passiert ist. Sie wollten die Ursache ergründen und Antworten bekommen: Wie konnte so etwas passieren? Denn es war ja keine Naturkatastrophe, sondern von Menschen verursachtes Unglück.



domradio.de: Im Düsseldorfer Landtag wird heute erneut über das Unglück diskutiert. Noch immer gibt es keinen, der die Verantwortung für das große Leid vieler übernimmt. Wie wichtig ist das, dass jemand dafür die Verantwortung übernimmt?

Müller-Lange: Nur dann, wenn das Geschehen erklärbar ist und ein Maß von Schuld auch besprochen werden kann, können Angehörige - zumindest einigermaßen - abschließen, was da passiert ist. Und dann können sie wieder nach vorne blicken. Solange das alles nicht geschehen ist, bleibt die Wunde weiter offen.



domradio.de: Am Sonntag wird es eine große Gedenkfeier geben. Wie wichtig ist eine solche Feier für die Hinterbliebenen und wie wird sie ablaufen?

Müller-Lange: Wir haben schon viel Erfahrung mit Gedenkfeierlichkeiten nach symbolischen Tagen. So waren nach dem Tsunami insgesamt über 190 Menschen bis nach Thailand gefahren - ein Zeichen dafür, wie wichtig es für sie war, am Ort des Geschehens den Angehörigen nahe zu kommen. Insofern war es schon im Februar ein Wunsch der Angehörigen an die Ministerpräsidentin, dafür  zu sorgen, dass es eine neue würdige Gedenkfeierlichkeit geben wird.



domradio.de: Sie sind regelmäßig als Notfallseelsorger im Gespräch mit den Hinterbliebenen aber auch mit den Opfern, die schwere Verletzungen davon getragen haben. Wie geht es ihnen ein Jahr nach dem Unglück?

Müller-Lange: Wir merken schon, dass sie eine weite Wegstrecke über das Jahr gegangen sind. Bei den Angehörigen tritt auch wieder so etwas wie normaler Alltag ein. Das ist bei den Verletzten völlig anders. Bei den Verletzten ist es bis heute so, dass sie nicht in enge Räume gehen können, dass sie Menschenansammlungen meiden. Viele haben eine therapeutische Maßnahme begonnen. Einige haben ihren Arbeitsplatz verloren, konnten sich noch nicht wieder in den normalen Alltags- und Arbeitsprozess eingliedern.



domradio.de: Was erhoffen sie sich ein Jahr nach der Katastrophe?

Müller-Lange: Für die Opfer erhoffe ich mir, dass sie auf der einen Seite an diesem Tag noch mal am Unglücksort eine besondere Nähe erfahren. Sie erfahren auf jeden Fall die gesellschaftliche Anteilnahme noch einmal in besonderer Weise. Es ist so, dass die Gesellschaft sie nicht vergessen hat. Das ist auch etwas anderes, als das bei früheren Katastrophen gewesen ist. die Anteilnahme der Gesellschaft ist groß, natürlich auch mit den Fragestellungen nach Schuld und Ursache. Was die Mitwirkenden erwarten: dass sie einen Beitrag dazu leisten, dass auch wirklich so etwas wie Trost in dieser Situation gespendet werden kann. Und dass im Anschluss daran, die Angehörigen erleichterter nach Hause gehen, als sie gekommen sind.   



Das Gespräch führte Monika Weiß.