Ärztetag diskutiert ethische Fragen

Streitfall Suizidbeihilfe

Ethische Themen sind ein Schwerpunkt des 114. Deutschen Ärztetags, der heute in Kiel beginnt. Auf dem Programm stehen Themen wie Suizidbeihilfe, Präimplantationsdiagnostik und Palliativversorgung. Gerade bei der Suizidbeihilfe hatte die Kirche im Vorfeld eine Aufweichung befürchtet, erläutert ZdK-Präsident Alois Glück im Interview mit domradio.de.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Das Treffen an der Förde wird auch deshalb in die Annalen eingehen, weil Jörg-Dietrich Hoppe (70) nicht erneut für das Amt des Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) kandidiert. Der in Ostpreußen geborene Katholik steht seit 1999 an der Spitze der BÄK und des Ärztetags. Er gilt als Integrationsfigur und hat sich immer wieder zu grundlegenden ethischen Fragen geäußert.



In Kiel wird das Ärzteparlament unter anderem darüber diskutieren, wie eine Palliativversorgung aussehen muss, die sich nach den Bedürfnissen sterbender Menschen richtet. Nach Meinung von Palliativexperten hat sich die Versorgung dieser Menschen zwar stark verbessert; sie ist aber zurzeit noch nicht flächendeckend und auch nicht überall gleich gut. Das gilt besonders für den Anspruch auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die den Patienten ein Sterben zu Hause ermöglichen soll.



"Es muss uns um den konsequenten Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung gehen", fordert der ZdK-Präsident. Diesen Anspruch "müssen wir gerade in Deutschland aufrecht erhalten, wo die Würde des Menschen am Beginn und Ende seines Lebens intensiver als in den meisten anderen Ländern diskutiert wird". Er hoffe, so Glück, der Deutsche Ärztetag "bestätigt diesen Kurs, der die Angst vieler Menschen vor schlimmem Leiden am Lebensende ernst nimmt und aufgreift, aber nicht vor der herausfordernden Situation kapituliert".



Ein weiteres Thema ist die Präimplantationsdiagnostik (PID). Grundlage für die Diskussion ist ein vom BÄK-Vorstand verabschiedetes Memorandum. Danach ist eine PID mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar. Sie sei vertretbar bei Paaren, bei denen für die Nachkommen ein hohes Risiko für eine familiär bekannte und schwerwiegende genetische Erkrankung besteht. Schon im Jahr 2000 hatte der Wissenschaftliche Beirat der Ärztekammer die PID in engen Grenzen befürwortet. Der Ärztetag in Rostock 2002 schloss sich dieser Argumentation allerdings nicht an. Er plädierte mit knapper Mehrheit für ein Verbot.



Neufassung der ärztlichen Berufsordnung

Auf der Kieler Tagesordnung steht auch der Streit um ärztliche Beihilfe zum Suizid. Dazu hat die BÄK im Vorfeld ein klares Signal gesetzt: In ihrem Entwurf für eine Neufassung der ärztlichen Berufsordnung lehnt sie eine Beteiligung von Ärzten an der Selbsttötung von Patienten klar und ausdrücklich ab. Ärztinnen und Ärzten sei es "verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten", heißt es. Das ist deutlicher als in der bisher geltenden Berufsordnung, in der es lediglich heißt, dass Ärzte das Leben Sterbender nicht aktiv verkürzen dürfen. - Was aber weithin als Verbot der Suizidbeihilfe interpretiert wurde.



Ausdrücklich dankt Glück der Kammer "für dieses deutliche Signal, nachdem in den Monaten zuvor denkbar erschien, dass das ärztliche Standesrecht in der Frage des assistierten Suizids gelockert würde". Nun werde aber im Antrag an den Deutschen Ärztetag klar zum Ausdruck gebracht, "dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen", unterstrich Glück. Denn die Gefahr sei unabweislich, dass ohne eine solche Klarstellung der assistierte Suizid angesichts eines Mangels an palliativmedizinischer Versorgung als ärztliche Leistung behandelt werden könnte.



In Kiel dürfte es darüber eine intensive Debatte geben. Immerhin können sich laut einer Umfrage von 2010 mehr als ein Drittel der Ärzte in Deutschland vorstellen, Patienten bei der Selbsttötung zu helfen. Und schon 2006 hatte der Deutsche Juristentag die Mediziner aufgefordert, eine ausnahmslose Missbilligung der Beihilfe zum Suizid zu überdenken - zumindest bei Patienten mit "unerträglichem, unheilbarem und mit palliativmedizinischen Mitteln nicht ausreichend zu linderndem Leiden".



Auch Hoppe hat zwischenzeitlich einen weniger klaren Kurs verfochten. Zwar könne er selber es nicht mit seinem Berufsverständnis in Einklang bringen, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten, sagte er. Es gebe aber Einzelfälle, in denen Mediziner die Beihilfe zum Suizid mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten. "Wenn Ärzte moralisch mit sich im Reinen sind, brechen wir nicht den Stab über sie", so der Ärztepräsident.



Die Berufsordnung ist für alle Ärzte rechtlich verbindlich - anders als die "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung", die die Ärztekammer bereits im Frühjahr reformiert hatte und die lediglich als Orientierungsrahmen gelten. Dabei hatte sie beim Thema Suizidbeihilfe nach Meinung mancher Beobachter zu Missverständnissen eingeladen: In der Neufassung der Grundsätze heißt es lapidar, dass eine Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung von Menschen "keine ärztliche Aufgabe" ist. Die frühere Fassung von 2004 hatte noch deutlicher hervorgehoben, dass eine Suizidbeihilfe dem ärztlichen Ethos widerspricht.



Kritiker werteten die neuen Formulierungen als Aufweichung. Die Ärztekammern von Westfalen-Lippe und Hessen kündigten deshalb für den Kieler Ärztetag Widerstand an. Gut möglich, dass auch die Richtlinien noch einmal präzisiert werden.