Jesuitenpater Mertes verlässt nach 17 Jahren die Hauptstadt

"Werde nicht völlig von der Berliner Bühne abtreten"

Als Rektor des Berliner Canisius-Kollegs wurde Pater Mertes im vergangenen Jahr bundesweit bekannt, als er Missbrauch an dem Jesuitengymnasium öffentlich machte und damit eine breite Debatte auslöste. Zum 1. September wechselt er als Kollegsdirektor nach Sankt Blasien im Schwarzwald. Im Interview zieht er eine Bilanz seiner Berliner Zeit.

Autor/in:
Birgit Wilke
 (DR)

KNA: Pater Mertes, Sie gelten als einer der profiliertesten katholischen Stimmen in Berlin. Wird man auch künftig von Ihnen hören?

Klaus Mertes: Ja, sicher. Ich habe nicht vor, ganz von der Bühne abzutreten. Bleiben werde ich im Vorstand der Stiftung 20. Juli und auch im Wissenschaftlichen Beirat der Katholischen Akademie. Natürlich werde ich auch die Chancen nutzen, die mir gegeben werden, etwa wenn ich zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen werde.



KNA: Sie haben 17 Jahre in Berlin gelebt und sind auch Mitglied im Priesterrat des Erzbistums. Was haben Sie im Diaspora-Bistum zu schätzen gelernt, und was haben Sie vermisst?

Mertes: Der Katholizismus ist hier viel aktiver und auch innerkirchlich kämpferischer als der gutbürgerliche Katholizismus des Rheinlandes. Das habe ich sehr geschätzt. Weil viele Vertreter der Kirche von der DDR-Zeit geprägt sind, ist auch die Verschwisterung mit der CDU nicht so stark wie etwa im Rheinland oder wie in Bayern mit der CSU. Nach meiner Empfindung hatte etwa der frühere Erzbischof Georg Sterzinsky eine größere innere Freiheit als manch" anderer Bischof aus den alten Bundesländern. Ich mag auch die schlesische Frömmigkeit, die auch von den Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg mitgebracht wurde.

Zugleich sind aber viele Katholiken hier sehr stark auf die Kleriker fixiert. So kann es hier passieren, dass sich ein katholisches Gemeindemitglied beim Kardinal über Vorfälle im Klassenzimmer einer Schule beschwert, anstatt erst einmal zum Lehrer zu gehen. Dieser ganz kurze familiäre Zugang direkt zur obersten Spitze wäre in einem so riesigen katholischen Umfeld wie im Rheinland nicht denkbar. Als gesellschaftliche Kraft könnte sich der Katholizismus in einem weitgehend entchristlichten Umfeld manchmal mutiger präsentieren, da stelle ich manchmal noch eine gewisse Verschüchtertheit fest.



KNA: Wie sieht denn - abgesehen von den Bewerberzahlen - Ihre Bilanz ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle für die Schule aus?

Mertes: Der alte Mythos des Canisius-Kollegs ist zugunsten größerer Wahrheit verschwunden. Das erlebe ich als eine Befreiung. Die Schule hat eine neue Aufgabenstellung gefunden, nämlich mehr Aufmerksamkeit für Gewalt, nicht nur für die sexualisierte. Auch das Vertrauensverhältnis von Schülern und Eltern zur Schule ist gestärkt worden. Das Verhältnis zu den Opfern ist sehr unterschiedlich.

Letztlich muss ich respektieren, dass es einige Opfer geben wird, die unzufrieden bleiben. Und ich kann die Unzufriedenheit sogar auch in gewisser Weise verstehen, jedenfalls respektiere ich sie.



KNA: Zum Papstbesuch im September haben Sie zusammen mit dem Vorsitzenden des Diözesanrats Wolfgang Klose und der Kreuzberger Pfarrgemeinderatsvorsitzenden Bettina Jarasch einen Blog zum Papstbesuch gestartet. Welches Ziel verfolgen Sie dabei?

Mertes: Damit wir zu einer noch breiteren gemeinsamen Vorfreude auf den Besuch finden können, ist es wichtig, dass wir nicht nur über Termine und Organisation sprechen, sondern auch als Katholiken miteinander schauen: Welche Themen stellt uns die Stadt bereits in der Vorbereitungsphase, und wie denken wir selbst darüber? Dazu gehören die Ökumene und die Stellung des Religionsunterrichts genauso dazu wie der Umgang mit Homosexualität, Migration und Integration sowie die Gleichstellung von Mann und Frau.

Als Katholiken werden wir anlässlich des Papstbesuches hier zu vielen Themen angefragt. Darin liegt ja auch die große Chance dieses Besuches. Viele haben mir gesagt, dass es durch diesen Blog ein Forum gibt, auf dem man sich auch innerkirchlich zu solchen Themen austauschen kann und auf das man auch Leute aufmerksam machen kann, die von außen an uns herantreten mit der Frage: Wie sprecht ihr denn als Katholiken miteinander über dieses oder jenes Thema?



KNA: Zum Abschluss: Was glauben Sie, was werden Sie künftig im Schwarzwald am meisten vermissen?

Mertes: Die Straßen voller Leben.