Merkels Freude kommt wohl vor das Parlament

Suboptimale Äußerung

Die Kritik an den Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Tod von Osama bin Laden reißt nicht ab. Merkel zeigte zwar am Mittwoch nach Auskunft von Regierungssprecher Steffen Seibert Verständnis für die Vorbehalte gegenüber ihrer Aussage. Dennoch wird ihre Einlassung nun möglicherweise auch das Parlament beschäftigten.

 (DR)

Seibert räumte ein, Merkels Formulierung könne, aus dem Zusammenhang gerissen, als "unpassend empfunden werden". Sie dürfe aber nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden. "Motiv ihrer Freude war der Gedanke, dass nun von diesem Menschen keine Gefahr mehr ausgeht und die Welt ein Stück sicherer ist", erläuterte der Regierungssprecher.



Kirchenvertreter und Parteifreunde hatten zuvor die Äußerung der Bundeskanzlerin kritisiert.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, bezeichnete die von Merkel geäußerte Freude als "missverständlich und sehr irritierend". Jeder müsse letztlich selbst für sich entscheiden, wie er die Sache bewerte, sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstagsausgabe): "Aber wir müssen uns dem Rechtsstaat stellen - auch wenn es um Menschen geht, die wegen ihrer Gräueltaten in ihrer Menschenwürde kaum noch zu erkennen sind."



"Wir sind aus gutem Grunde gegen die Todesstrafe", sagte der ZdK-Präsident weiter. Und der christliche Glaube kenne auch keine Freude über den Tod eines Menschen. Allerdings schränkte Glück ein, Osama bin Laden sei ein Top-Terrorist gewesen, der viel Hass in die Welt gebracht und viele Menschen auf dem Gewissen habe. "Dass er als Leitfigur für das internationale Terrornetzwerk nicht mehr infrage kommt, erfüllt mich aber schon mit Freude und Genugtuung."



Suboptimale Äußerung

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, sagte dazu der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" vom Donnerstag: "Als Bundeskanzlerin mit Vorbildcharakter für Deutschland und als Vorsitzende einer christlichen Partei ist dieser Satz in Hinblick einer angemessenen Pietät suboptimal." Mazyek warnte auch davor, Terror mit gleicher Münze heimzuzahlen. Der Terror habe "viel Perversion in die Weltgemeinschaft" hineingetragen. "Es liegt nun an uns, sich davon nicht anstecken zu lassen und jener Logik des Todes mit Würde und Entschlossenheit zu begegnen und nicht mit gleicher Münze zurückzuschlagen. Das macht uns dann wahrhaft größer."



Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck sagte in einem Interview mit der Essener

WAZ-Mediengruppe: "Man kann sich als Mensch und erst recht nicht als Christ über den Tod eines Menschen freuen. Das gilt auch, wenn er ein Gewalttäter war." Die Würde eines Menschen sei immer zu achten. "Es wäre besser gewesen, wenn sich Bin Laden vor einem Gericht seiner Verantwortung gestellt hätte." Sein evangelischer Amtskollege Martin Dutzmann sagte, das Grundgesetz verbiete aus gutem Grund die Todesstrafe. "Es steht dem Menschen nicht zu, Leben zu nehmen", sagte Dutzmann der Berliner "Tageszeitung" (taz) (Donnerstag). Ähnlich äußerte sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider.



Auch in der Union meldeten sich Kritiker zu Wort. Der Parlamentarische Staatssekretär im Familienministerium, Hermann Kues (CDU), hält "Freude" für das falsche Wort. Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis meinte: "Ich kann mich nicht über die Tötung eines Menschen freuen." Der gezielte Schlag sei nur gerechtfertigt, wenn dadurch konkrete Gefahr abgewendet werden könne. Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU) sprach in der "Passauer Neuen Presse" von "Rachegedanken, die man so nicht hegen sollte".



Unterdessen forderte der Chef der Links-Partei, Klaus Ernst, eine Erklärung von Merkel über die Umstände des Todes von Bin Laden. Die Kanzlerin müsse auch sagen, "wie es jetzt in Afghanistan nach dem Wegfall des Kriegsziels weitergehen soll", sagte Ernst der "Leipziger Volkszeitung" (Donnerstag).



Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele stellte eine offizielle Anfrage an die Bundesregierung zur nächsten Fragestunde des Parlaments am kommenden Mittwoch. Die Erklärung der Bundeskanzlerin "ist mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren, sowie politisch und moralisch untragbar", so Ströbele.



Rückendeckung von Bosbach

Rückendeckung erhielt Merkel dagegen vom Vorsitzenden des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU). Er sagte MDR INFO, die Worte der Kanzlerin seien ein Ausdruck der Solidarität und des Mitgefühls mit den USA. "Man darf sich darüber freuen, dass es den Amerikanern gelungen ist, einen Massenmörder daran zu hindern, sein blutiges Handwerk fortzusetzen."



Auch der Wittenberger evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer nahm Merkel teilweise in Schutz. Von Freude zu sprechen, sei zwar in diesem Zusammenhang "völlig unangemessen", sagte er der "Leipziger Volkszeitung". Allerdings gestehe er Merkel mildernde Umstände zu.

"Sie musste in ihrer ersten Reaktion auch ausdrücken, dass sie die tiefe Genugtuung der Amerikaner mitempfinden kann."



Der Tübinger politische Philosoph Ottfried Höffe sagte im Deutschlandfunk, dass der Chef einer grausamen Terrorgruppe gefasst worden sei, sei ein großer Erfolg, "über den man sich freuen darf und wo man durchaus die Hauptbetroffenen, die US-Amerikaner, beglückwünschen darf". Wäre das Stauffenberg-Attentat auf Hitler gelungen, dann wären die Deutschen doch auch sehr froh gewesen.