Moraltheologe Knoepffler zu Reaktionen auf bin-Laden-Tötung

"Freude aus Rachsucht nicht angemessen"

Mit unverhohlener Freude haben die Menschen in Amerika und Politiker aus aller Welt auf den Tod von Terroristenführer Osama bin Laden reagiert. Der katholische Theologe und Moralphilosoph Prof. Nikolaus Knoepffler äußert sich im domradio.de-Interview zur Frage, ob die Reaktionen angemessen sind.

 (DR)

domradio.de: Die Menschen freuen sich über den Tod des meistgesuchten Terroristen. Tausende stürmten in Washington zum Weißen Haus mit dem Schlachtruf: "Obama! Obama! We have killed Osama!" Endlich sei ihm sein "blutiges Handwerk" gelegt worden, so der allgemeine Tenor. Bevor wir uns nun näher mit dieser Freude befassen, zunächst einmal die Frage, die viele beschäftigt: Ist es moralisch verwerflich, sich über den gewaltsamen Tod eines Menschen zu freuen?

Prof. Nikolaus Knoepffler: Ich würde sagen, Gefühle sind das eine. Also wenn ein Gefühl hochkommt wie Freude, dann kann man dieses Gefühl moralisch bewerten, aber es ist ja erst einmal da. Die Frage ist hier immer, ob man einem solchen Gefühl nachgibt und wie weit man ihm nachgibt. Worüber sich die Menschen erst einmal freuen, ist dass ein Mensch nicht mehr sein Terrorhandwerk vollführen darf, dass er nicht mehr den Frieden in solcher Weise stören kann, dass er anderen nicht weiter den Tod bringt. Das ist eine gut nachvollziehbare Freude. Die andere Freude, die sicher auch dabei mitschwingt, ist bei einigen vermutlich die Befriedigung von Rache. Also man will sich an diesem Mann, der soviel Leid gebracht hat, rächen. Eine solche Freude ist natürlich nach christlicher Vorstellung einfach nicht angemessen, und ein Mensch sollte dann versuchen, an seinem Charakter zu arbeiten, um diese Rachsucht abzustellen.



domradio.de: Nun geht es bei dieser Tötung ja auch um "Gerechtigkeit", so die Aussagen der Politiker. Aber kann eine Gerechtigkeit nach dem Prinzip "Auge um Auge, Zahn um Zahn" wirklich gerecht sein?

Knoepffler: Da kommt es wieder darauf an, aus welchen Gründen diese Tat geschah. Ich habe noch einmal nachgelesen, was Obama gesagt hat, nämlich: Wir wollten diese Gefahr aus der Welt schaffen, sei es, indem wir ihn töten, oder eben lebendig hierher bringen und ihn der Gerechtigkeit, im Englischen justice, zuführen, also verurteilen. Insofern könnte man diese Tötung Osama bin Ladens nun als Nothilfe deuten, das heißt man tötet jemanden, bei dem man davon ausgehen muss, dass er auch in Zukunft sehr, sehr vielen Menschen großes Leid bringen will. Insofern hätte das noch gar nichts mit "Auge um Auge" zu tun. Wenn es jedoch einfach darum ging zu sagen: Wir revanchieren uns jetzt an demjenigen, der uns vor zehn Jahren so viel Leid gebracht hat, und bringen ihn um, weil er andere umgebracht hat, dann hätte man klassisch "Auge um Auge, Zahn um Zahn" vollzogen. Das ist aber eigentlich in den meisten Ländern dieser Erde nicht mehr das Rechtsprinzip, das hinter Verurteilungen steht.



domradio.de: Werfen wir mal einen Blick auf die Angehörigen der Opfer des Anschlags in New York und Washington 2001, für die Osama bin Laden ja verantwortlich sein soll. Richtige Freudenfeiern, Jubel, Trubel, Heiterkeit ... sind da jetzt in New York ausgebrochen ...

Kann der Tod des Menschen, der dafür verantwortlich ist, seine Liebsten verloren zu haben, wirklich für solche Genugtuung sorgen, kann man dadurch wirklich inneren Frieden und auch Trost finden?

Knoepffler: Da fragen Sie mit mir jemanden, der - und das bleibt hoffentlich auch so - so etwas Tragisches an Unrecht nie erfahren hat, dass ein geliebter Mensch mir durch einen Gewalttäter entrissen wurde. Was ich aus der Außenperspektive weiß, ist, dass es für viele, denen großes Leid in dieser Weise widerfahren ist, ganz wichtig ist, dass der Verbrecher eine Strafen bekommt. Unabhängig davon, dass diese Strafe natürlich das Leid in dem Sinne gar nicht mindern kann. Aber dass wenigstens der Eindruck entsteht, ja, es ist in dieser Welt nicht möglich, einem anderen größtes Leid zuzufügen, ohne dafür auch bezahlen zu müssen. Und ich kann sehr gut verstehen, dass jemand so empfindet. Ich denke, ganz großartig wäre es, wenn er dann den nächsten Schritt auch noch tun kann und sagt: Letztlich lasse ich den jetzt in Frieden. Denn vergeben kann man natürlich in dem Sinne ganz schlecht. Man kann nur vergeben, was einem selbst zugefügt wurde, also wenn ich selbst getötet werde oder vielmehr schwer verletzt werde, dann kann ich dem Täter verzeihen. Bei der Frage, ob ein Angehöriger für seine Angehörigen verzeihen kann, kann er nur sagen: Ich verzeihe Dir das Leid das Du mir zugefügt hast, indem Du mir einen ganz wichtigen Menschen entrissen hast. Das wäre dann die ganz reife Einstellung, aber ich kann erst einmal diese Zwischeneinstellung gut nachvollziehen, dass Menschen froh sind und sagen: Jetzt ist irgendwie Gerechtigkeit geschehen, jetzt muss dieser Verbrecher für sein Verbrechen büßen. Allerdings glaube ich, um es auf den Punkt zu bringen, dass die Todesstrafe nicht die richtige Strafe ist. Wenn es, wie in diesem Sonderfall, jedoch nicht anders geht, dieser Person habhaft zu werden als durch eine solche Tötung, dann gibt es dafür Rechtfertigungsgründe.



domradio.de: Wenn die Welt nun so über den Tod des Terroristen-Führers in Verzücken gerät, sollten dann nicht auch andere Menschenverächter daran glauben müssen, nehmen wir zum Beispiel Robert Mugabe in Simbabwe, der kann sicher für den Tod und die Qual von weitaus mehr Menschen verantwortlich gemacht werden. Demzufolge müssten sich doch auch weltweit alle freuen, wenn solche Herrscher und Diktatoren das gleiche Schicksal wie Osama bin Laden ereilen würde.

Knoepffler: Man sieht jetzt gerade in den arabischen Ländern, wenn die Diktatoren stürzen, wie viele Menschen sich darüber freuen. Und man sieht gerade an Mubarak in Ägypten, der jetzt auch vor Gericht gestellt wird, dass man dann auch versucht, diese Person für diese Unrechtstaten zur Verantwortung zu ziehen. Und ich würde mir sehr, sehr wünschen, dass auch jemand wie Mugabe für seine Untaten zur Verantwortung gezogen werden kann. Und was uns einfach noch immer viel zu sehr fehlt auf dieser Erde, ist ein wirkliches internationales System, das solche Verbrecher vor Gericht stellt. Das ist im Moment im Aufbau, man sieht es an den Kriegsverbrechern in Ruanda und im ehemaligen Jugoslawien. Und ich hoffe und wünsche mir, dass wir als Weltgemeinschaft irgendwann so weit kommen, dass sich kein Diktator mehr seiner Sache sicher sein kann.