Von der Leyen will Bildungspaket auf die Sprünge helfen

"Füll mal aus"

Die Sache wirkt skurril: Es gibt etwas umsonst, doch keiner will es haben. Das Bildungspaket von Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) stößt weitgehend auf Desinteresse. Darum bat die Ministerin die Vertreter von Ländern und Kommunen zum Rapport.

Autor/in:
Veronika Schütz
 (DR)

Die Regelung trat nach langen Verhandlungen Ende März in Kraft, ist rückwirkend aber ab Anfang Januar wirksam. Doch bislang haben laut einer Spiegel-Online-Umfrage gerade mal zwei Prozent der 2,5 Millionen Berechtigten in Großstädten einen Antrag auf die Leistungen gestellt. Wer aber bis Ende des Monats nicht reagiert, verliert den Anspruch für die ersten drei Monate. Nun kündigte von der Leyen an, die Frist bis Sommer zu verlängern. Der Präsident des Deutschen Caritas Verbandes, Peter Neher, forderte eine Frist bis zum Jahresende, damit alle berechtigten Kinder und Jugendlichen Zugang zu den Leistungen erhielten. Dann bliebe auch mehr Zeit für Information. Den neuen Stichtag will die Ministerin am Donnerstag bei einem "Runden Tisch" bekanntgeben.



Angesagt für das Treffen haben sich Vertreter der kommunalen Spitzenverbände, von Länderseite die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) und ihre Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, SPD-Vize Manuela Schwesig. Von der Leyen wolle sich Bericht erstatten lassen, und dann abwägen, ob Handlungsbedarf bestehe, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage. Vor allem die Kommunen sollen zu Wort kommen. Sie sind für die Verteilung der Mittel verantwortlich.



Ministerium stellt Spiegel-Erhebung in Frage

Im Ministerium herrscht offenbar Ratlosigkeit über den Grund für die mangelnde Nachfrage. Die Sprecherin bezweifelt, ob die Spiegel-Online-Erhebung überhaupt repräsentativ sei. Sie mutmaßt, dass die Anspruchsberechtigten so zurückhaltend sind, weil "die Leistung relativ neu ist, und nicht überall alle Leistungen zur Verfügung stehen". Ob es auch etwas mit der Klientel zu tun habe, sei nicht abschließend zu beantworten.



Derzeit stehen Hartz-IV- Wohngeld- und Kinderzuschlagsempfängern seit Jahresanfang 26 Euro pro Monat für Unterrichtsmaterial oder ein Essen in Schulen oder Kitas zu. Außerdem weitere zehn Euro pro Monat für nachmittägliches Sport- Kultur- oder Musikangebot. Insgesamt 108 Euro können Berechtigte also für die drei Monate geltend machen.



Dass der bürokratische Aufwand zu hoch sei, lässt die Ministerin nicht gelten. Der "Passauer Neuen Presse" sagte sie am Mittwoch, Eltern seien ja in der Lage, ihren Hartz-IV-Regelsatz und die Mietkosten zu beantragen, warum sollten sie keinen Antrag für das Bildungspaket der Kinder stellen können? Gleichzeitig sieht von der Leyen aber auch Lehrer, Kita-Erzieher oder Leiter von Vereinen in der Pflicht. Um nachzuhelfen, kündigte die Ministerin an, sie wolle alle betroffenen Familien anschreiben.



Schätzung: 160-Millionen-Euro des Bildungspakets fließen in Bürokratie

Unsicherheit gibt es derweil, welches Amt für die Leistungen zuständig ist. Für Hartz-IV-Empfänger sind es die Jobcenter, für Menschen, die Wohngeld oder Kinderzuschlag beziehen, die kommunale Verwaltung. Der Verwaltungsaufwand ist hoch. Der Paritätische Wohlfahrtverband schätzt, dass 20 Prozent des jährlich 800-Millionen-Euro schweren Bildungspakets in die Bürokratie fließen. Geld, das nie bei einem Kind ankommt.



Kritik übt auch der Präsident des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. "Man hat sich hier ganz dem ministerialbürokratischen Denken unterworfen: Wenn jemand was will, dann soll er kommen und einen Antrag stellen", sagte Schneider am Mittwoch im ZDF. Kinder und Jugendlichen müssten aber an den Schulen, in den Kitas, in den Jugendzentren und auf der Straße angesprochen werden. "Dann kommen wir an sie ran, aber bestimmt nicht, indem man irgendwo einen Antrag an die Wand nagelt und sagt: füll mal aus."