Bei Berlin beginnt die Ethikkommission Kernenergie mit ihrer Arbeit

Tempo bei größtmöglicher Verantwortung

Nach einem ersten Treffen mit Bundeskanzlerin nimmt das 17-köpfige Gremium am Montag seine Arbeit auf. Im Interview mit domradio.de sprechen der ZdK-Vorsitzende Alois Fischer und Landesbischof Ulrich Fischer über christliche und gesellschaftliche Verantwortung einen Monat nach Fukushima und 25 Jahre nach Tschernobyl.

 (DR)

Alois Glück, Präsident Zentralkomitee der Deutschen Katholiken:



domradio.de: Sie wurden als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in den Ethikrat berufen. Was hat für Sie der christliche Glaube mit der Atomenergie zu tun?

Glück: Hier ist in besonderer Weise das Prinzip Verantwortung gefordert. Verantwortung übernehmen insbesondere natürlich gegenüber den Menschen, der Umwelt, aber auch vor allen Dingen gegenüber den Nachkommen. Und das heißt neben all den technischen Fragen: Die Nutzung ist letztlich auf der Ebene der Entscheidung vor allen Dingen auch eine ethische Kategorie. Und hier sind wir gefordert, natürlich unsere Überzeugungen zu bringen, unsere Bereitschaft auch, Verantwortung zu übernehmen.



domradio.de: Sie haben schon vor Tschernobyl vor den Folgen von Atomkraft gewarnt - fühlen sie sich wie der Rufer im eigenen Lande, der bekanntermaßen nicht gehört wird?

Glück: Es gilt ja nicht nur für das Thema Kernenergie, dass wir einen sehr starken Verdrängungsmechanismus haben. Wenn es unserer Bequemlichkeit, unserem Lebensstandard, unserer Vorstellung von Wohlstand widerspricht. Generell halte ich es für die größte ethische Herausforderung unserer Zeit, dass wir mehr Verantwortung übernehmen gegenüber den Langzeitwirkungen. Eine Zukunftsverantwortung. Und dann stellt sich natürlich die Frage, woher nimmt ein Volk die Kraft, sich beispielsweise so zu verhalten, wie Eltern die um die Zukunft ihrer Kinder willen auf das eine oder andere verzichten an Lebensstandard und an Möglichkeiten. Was jetzt in unserer Wohlstandgesellschaft in Hinblick auf ihre Fehlentwicklungen dringlich notwendig ist, ist die christliche Tugend des Maßes, der Fähigkeit der Selbstbegrenzung. Und das gilt natürlich in Hinblick auf die Kernenergie und Langzeitverantwortung und - folgen.



domradio.de: Wie kommt es denn dann, dass ausgerechnet die beiden Parteien, die sich das C auf die Fahnen schreiben, die Laufzeitverlängerung mit beschlossen haben - sie sind ja auch in der Union…

Glück: Ich hatte intern und auch in einem Schreiben an die Bundeskanzlerin davor gewarnt, eine Entscheidung zu Verlängerung der Laufzeit zu treffen. Denn damit wurde das gesamte Energiekonzept diskreditiert. Im Kern geht es jetzt um die Fragestellung: Grundsätzlich haben wir in Deutschland die Entscheidung getroffen, keine neuen Kernkraftwerke zu bauen, nicht zuletzt auch wegen des gesellschaftlichen Widerstands. Insofern hat die Kernenergie nur noch den Charakter der Brückentechnologie. Jetzt geht es darum, unter dem Eindruck der zusätzlichen Erkenntnissen und Eindrücken aus Japan, die wichtige Wegstrecke zu finden. Die Frage ist nicht mehr: Ausstieg irgendwann? Sondern: so zügig wie möglich! Gleichzeitig ist die Frage - die Kommission heißt ja  "Ethikkommission sichere Energieversorgung", also nicht nur fixiert auf Kernenergie: Wie kann der Umbau gestaltet werden, dass es nicht in anderer Weise zu großen Problemen kommt, wie sozialen Auswirkungen durch sehr hohe Energiepreise oder Einbrüche in der Beschäftigung. Es ist eine Kombination von notwendiger hoher Sachkenntnis in einem komplexen Sachverhalt und Verantwortungsbereitschaft notwendig. Und vor allen Dingen: Politik braucht hier einen langen Atem!



domradio.de: Das heißt, wenn sich die Ethikkommission heute wieder trifft, dann versuchen sie eine Balance zu finden zwischen dem Atomausstieg und den sozialen Folgen?

Glück: Wir sind kein Entscheidungsgremium. Und wir sind gleichzeitig nicht eine technische und ökonomische Kommission. Aber das Ziel ist: Orientierungen und Maßstäbe für das notwendige politische Handeln formulieren. Sowohl mit Blick auf die Kernenergie, wie aber auch auf die Kohle und die Folgen der fossilen Brennstoffe für die Klimathematik haben; im Hinblick auf zügiges, aber auf der anderen Seite auch fundiertes Handeln, nicht diese Hektik, die gerade spürbar ist. Ein Wettkampf "Wer ist am schnellsten aus der Kernenergie?" ist noch kein tragendes ethisches Prinzip, sondern es geht um verantwortliches Handeln. Allerdings haben wir, wenn wir noch mal zum Ausgangspunkt Tschernobyl und die Erfahrungen zurückkehren, insofern eine sehr veränderte Situation: In der Zeit von Tschernobyl hatten wir als Alternative eigentlich nur den Einsatz von mehr fossilen Brennstoffen. Und interessanterweise ist genau vor 25 Jahren die erste Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft über Schäden in der Atmosphäre veröffentlicht worden. Jetzt haben wir ein beachtliches und sehr ausbaufähiges Potential: so genannte regenerative Energien. Das verschiebt natürlich auch noch mal den Maßstab gegenüber den großen Risiken der Kernenergie. Und das gilt es jetzt umzusetzen in verantwortlichem Handeln.



Das Gespräch führte Melanie Wielens - hier in voller Länge.





Dr. Ulrich Fischer, Landesbischof Badische Landeskirche



domradio.de: Heute blicken wir alle entsetzt auf Fukushima - dabei hatten wir das alles vor 25 Jahren schon mal: Haben wir keine Lehren aus Tschernobyl gezogen?

Fischer: Unzureichende Lehren. Was deutlich anders ist in der Wahrnehmung von Fukushima gegenüber Tschernobyl ist: Zwar war Tschernobyl viel näher dran, aber es haben damals sehr schnell sehr viele Erklärungsmuster gegriffen haben: überholte Technik, Menschen, die dem nicht gewachsen waren, es wurde experimentiert. All diese Erklärungsmuster greifen jetzt nicht mehr. In Japan haben wir es mit einem Hochtechnologieland wie Deutschland zu tun. Jetzt sehen wir: Auch denen entgleitet eine Situation.



domradio.de: Heute trifft sich die Ethikkommission wieder - was genau machen Sie da eigentlich?

Fischer: Wir haben eine erste Sitzung hinter uns, in der wir zunächst ein Gespräch mit der Kanzlerin hatten, wo die Erwartungshaltung der Regierung gegenüber uns zum Ausdruck gebracht wurde: nämlich, dass es möglich sein soll, eine Wende in der Energiepolitik auf der Basis eines großen Konsenses dann auch politisch umzusetzen. Heute haben wir die erste Arbeitseinheit. Die wird so ausgehen, dass von einem Grundlagenpapier aus ein Grundszenario dessen, was wir beschreiben können in dieser begrenzten Zeit und diesem begrenzten Auftrag, abgesteckt wird. Es wird insbesondere um den Risikobegriff gehen. Auch die Frage, ob Risiken, die auch jetzt noch nach Fukushima von der Wahrscheinlichkeit her gering sind, dennoch vor dem Schaden, wenn sie eintreten, den Begriff Risiko nicht mehr vertragen - sondern den der Katastrophe! Wie dies gesellschaftlich zu bewerten ist, wird eine wichtige Frage sein. Und dann natürlich auch, wie man eine Energiewende ethisch verantwortlich so hinbekommt, dass die entstehenden Mehrkosten sozial gerecht verteilt werden. Höchstmögliches Tempo bei größtmöglicher Verantwortung für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen. Das wird die  Frage sein.  



Das Gespräch führte Melanie Wielens - hier in voller Länge.