Ein Bischof und ein Glücksforscher ziehen Lehren aus Fukushima

"Mentale Revolution"

Revolutionäres darf man eigentlich nicht erwarten, wenn Gregor Maria Hanke über Atomkraft spricht. Denn der ehemalige Benediktinerabt und heutige Eichstätter Bischof war schon immer Kernkraftgegner, lange vor der Katastrophe von Fukushima. Doch die Worte des Kirchenmanns bei einer Diskussion in der Katholischen Stadtkirche in Nürnberg am Dienstagabend waren weit mehr als ein politisches Statement.

Autor/in:
Christian Wölfel
 (DR)

Hanke forderte nichts weniger als eine "kleine mentale Revolution". Zweifel an der Notwendigkeit des Atomausstiegs kamen zwischen dem Bischof und seinem Mitdiskutanten, dem Nürnberger Ökonom und Glücksforscher Karlheinz Ruckriegel, nicht auf. Ruckriegel sprach von dem verdrängten, aber schon lange bekannten Restrisiko. Hanke verwies auf die kritische Position des Kölner Kardinals Joseph Höffner zu Beginn der 1980er Jahre, die damals auch kirchenintern noch höchst umstritten war. Allein die ungeklärte Frage der Endlagerung hatte schon damals den Kardinal urteilen lassen, dass mit der Technologie der Nachwelt eine Last übertragen werde, die "nicht verantwortbar" sei.



"Wir werden bezahlen müssen, dass wir lange geschlafen haben", sagte Hanke. Regenerative Energien seien politisch nur der "Schrebergarten gewesen, der gepflegt wurde". Die Katastrophe in Japan sei wieder einmal ein Beispiel für eine "Katastrophenethik", auf die er nicht viel gebe. "Wie lange wird es anhalten?", fragte der Bischof. Die skeptische Antwort schickte er gleich selbst hinterher: Die Ölkrise der 1970er Jahre oder die Warnrufe des Club of Rome seien auch schnell vergessen worden. Ebenso hätten die Banken die Finanzkrise mental ganz gut weggeräumt: "Die Haifische sammeln sich schon wieder."



Mehr Erkenntnisbereitschaft forderte der Bischof. Der Mensch müsse sich selbstkritisch fragen: Wo sind die Grenzen seines Handelns, Machens und Habens? "Dürfen wir alles, was wir glauben zu können?" Die Atomtechnologie ist für den Mönch nur ein Ausdruck des Hangs zur Maßlosigkeit in der Gesellschaft. Von systemimmanenten Ungerechtigkeiten sprach Hanke, von "krebsartigen Ausblähungen". Die Bereitschaft zur Umkehr erfordere Selbstdistanz, um den eigenen Lebensstil zu hinterfragen - Worte, denen auch der Ökonom und Glücksforscher Ruckriegel zustimmte.



Der Professor skizzierte einen neuen Wohlstandsbegriff, der nicht materiell begriffen werde. Gesundheit, gelungene zwischenmenschliche Beziehungen oder auch eine jenseits des Lohns erfüllende Erwerbsarbeit seien Glücksfaktoren. "Neoklassische" Kollegen seines Faches würden diese allzu wenig berücksichtigen.



Ruckriegel unterschied zwischen "old und new economy". Zu letzterer zählt er sich selbst. Vertreter der "alten Schule" dächten immer nur an steuerliche Anreize, um ökologisches Verhalten zu befördern. Der Professor plädierte für die Kraft des Vorbilds, das soziale Normen schaffe.



Mit weniger zufrieden und glücklich sein

Hanke dagegen argumentierte ganz als Benediktinermönch. Ohne Verzicht werde es nicht gehen. "Wir müssen ein Stück weit den Abschied wagen." Eine Veränderung des Bewertungssystems sei nötig, wenn es um die Bestimmung von Lebensqualität gehe. Der Mensch müsse das geistig-ideelle Kapital entdecken, eben eine "kleine mentale Revolution" wagen. Eine Lektion, die nicht nur Wirtschaftsführern und Politikern, sondern auch den Verbrauchern bevorsteht.



Der Bischof hat sie nach eigenen Worten im Kloster gelernt. Eine Art "christlicher Sozialismus" sei eine solche Mönchsgemeinschaft. Das Eigentum geht in der Gemeinschaft auf. Es wird Askese eingeübt. Das bedeutet: "mit weniger zufrieden und glücklich sein". Obwohl auch diese Art von Sozialismus ihn schon zum Fluchen gebracht habe, wie der Benediktiner freimütig einräumte: Dann etwa, wenn er mit dem letzten Tropfen Sprit zur Aushilfsmesse am Sonntag fahren musste, weil ein Mitbruder das Gemeinschaftsauto zuvor nicht getankt hatte.