Stuttgarter Stadtdekan vor dem Wechsel zur Stiftung Liebenau

"Kirchlichkeit light kann es nicht geben"

Der Stuttgarter Stadtdekan Michael Brock wird am Sonntag mit einem Gottesdienst aus seinem Amt verabschiedet. Im Interview zieht Brock eine Bilanz seiner Arbeit und erläutert, wie er seine künftige Aufgabe als Vorstand der Stiftung Liebenau sieht.

 (DR)

KNA: Herr Prälat Brock, wie sieht Ihre Bilanz nach rund zwei Jahrzehnten als Seelsorger in Stuttgart aus?

Brock: Für mich persönlich war das Jahr nach der Weihe zum Diakon eine ganz entscheidende Zeit. Ich habe damals von meinem Pfarrer lernen dürfen, die Gemeinde als große Familie zu begreifen. Als Gemeindeleiter muss ich Ideen und Visionen haben, aber vor allem die Fähigkeit entwickeln, die Leute mitzunehmen. Bei aller Verschiedenheit, die Kirche ausmacht, geht es darum, die Gemeinsamkeit zu bewahren. Es war mein Anspruch, dass sich 46 Pfarreien, 18 muttersprachliche Gemeinden und viele Einrichtungen unterschiedlichster Art als eine Stadtkirche verstehen. Die besten Beispiele für gemeinsame, von allen getragene Projekte sind das Hospiz Sankt Martin, die Domsingschule und das Haus der Katholischen Kirche. Überall wollten wir katholische Kirche für alle sein.



KNA: Kurz vor Ihrem Ausscheiden: Was nehmen Sie stärker wahr, das lachende oder das weinende Auge?

Brock: Noch überwiegt der Schmerz, ich bin ein wenig traurig. Mit vielen habe ich hier sehr gerne zusammengearbeitet und gelebt. Aber ich bin zuversichtlich: Die Freunde gehen mit.



KNA: Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?

Brock: Die Stiftung Liebenau ist ein gut aufgestelltes Sozialunternehmen in der katholischen Kirche - wobei dieser Status in den vergangenen Jahren sehr umstritten war, weil die Liebenau auch gut damit hätte leben können, eine bürgerliche Stiftung zu sein. Aber der Rechtsstreit ist nun beendet. Jetzt möchte ich mithelfen herauszufinden, was es heißt, wieder kirchliche Stiftung zu sein. Inhaltlich gibt es enorme Herausforderungen: Was heißt Altenpflege heute und morgen, wie muss sich die Behindertenhilfe entwickeln, in der diese Menschen nicht aussortiert, sondern integriert werden?



KNA: Wie sieht die Rekatholisierung a la Brock aus?

Brock: Die wird es nicht geben. Die Liebenau war nie unkatholisch, sie wollte nur eine andere Organisationsform haben. Ich möchte eine biblische Perspektive einbringen: Wie gehen wir mit den Blinden, den Lahmen und den Tauben um? Das ist nicht mystisch oder abgehoben, sondern ein knallhartes biblisches Programm. Und davon hatte sich die Liebenau nie verabschiedet.



KNA: Im Unterschied zur Bindung an den Caritastarifvertrag.

Brock: Ein großer Teil der Angestellten werden nach diesen Tarifen bezahlt. Inzwischen ist die Liebenau wieder Mitglied im Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Sie will dort ihre Erfahrungen mit ihren Haustarifen einbringen und nach Kompromissen suchen. Aber eines muss klar sein: Wo Kirche draufsteht, muss Kirche drin sein. "Kirchlichkeit light" kann es nicht geben.



Interview: Michael Jacquemain