Chile steht in diesem Jahr im Mittelpunkt des Weltgebetstags der Frauen

Mit Sticken aus der Armut

Das Bild zeigt Szenen aus der Bibel und aus dem Alltag im chilenischen Dorf Copiulemu. Während links der Weizen goldgelb in voller Reife steht, drischt rechts ein Bauer mit Pferden das Korn. In der Mitte wird Brot verteilt, wie in der wunderbaren biblischen "Speisung der Fünftausend". Es ist das Titelbild des Weltgebetstages der Frauen am 4. März.

Autor/in:
Jürgen Vogt
 (DR)

Es stammt aus Copiulemu. "Wie viele Brote habt ihr?" lautet die Losung, die an Solidarität gemahnt. Elvira Nuñoz ist eine von 40 Frauen, die in Copiulemu Bilder sticken. "Ich mag die kräftigen Farben," sagt sie und beugt sich über den Stoff. Jetzt noch den Baumstamm zu Ende sticken, fertig: "Unser Haus, unser Garten, die Tiere und meine Enkel beim Eiersuchen." Zwei Wochen hat die 65-Jährige an ihrem Bild gestickt. Markantes Kennzeichen der Frauen von Copiulemu ist, dass sie ihre Motive auf Mehlsäcke sticken.



Die 400-Seelen-Gemeinde in der Nähe der südlichen Industriestadt Concepción besteht aus flachen Holzhäusern. Die Menschen bauen auf kleinen Parzellen Weizen, Mais, Kartoffeln und Gemüse für den Eigenbedarf an. Ihr Land liegt zwischen den Pinien- und Eukalythusplantagen der großen Holzfirmen, für die sich die Männer verdingen.



Sticken ist Heimarbeit und Frauensache. Aber: "Erst muss ich den Haushalt organisieren," sagt Nuñoz. Auf dem Herd dampft es aus dem Suppentopf, das am Morgen geschlachtete Huhn hängt noch am Haken. Das Sticken hat ihr ihre Mutter vor 30 Jahren beigebracht. Damit konnten die Frauen zum ersten Mal etwas Geld verdienen. Es ist für sie unverzichtbar.



Ohne die Deutsche Rosemarie Prim, die 1963 durch Heirat in das Dorf kam, würde es die Stickerinnen von Copiulemu nicht geben. Zehn Jahre arbeitete Prim in einem SOS-Kinderdorf und gründete in den 70er Jahren einen Landkindergarten. "Die soziale Situation der Menschen hier, und vor allem der Mütter und Frauen, war damals noch viel dramatischer," erinnert sie sich.



Auch wenn sich die Lebensverhältnisse in Chile in den vergangenen Jahrzehnten verbessert haben, geht noch immer ein tiefer Riss durch die Gesellschaft. Jeder Fünfte der 16,7 Millionen Chilenen lebt in Armut. Zudem hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet.



Es ist naive Kunst, was die Frauen in Copiulemu schaffen. Die Motive entstehen spontan. "Wer da irgendetwas einfach etwas kopiert, landet schnell beim Kitsch", sagt Prim. Mit Ausstellungen machten die Stickerinnen rasch auf sich aufmerksam. Der Verkauf ließ sich gut an.



Für den Besuch von Papst Johannes Paul II. 1987 in Chile bekamen die Stickerinnen den Auftrag, einen Wandteppich für die Messe in Concepción zu gestalten. 40 Frauen beteiligten sich. "Meine Mutter hat dafür den Lebensbaum gestickt und ich den Wald", sagt Nuñoz. Bei Kerzenlicht stickten sie nächtelang am Küchentisch, denn Strom gab es noch nicht. Das 20 Quadratmeter große Werk hängt heute in einer Kirche in einem Vorort von Concepción über dem Altar.



Nuñoz legt das Huhn in den Topf. "Ich bin seit kurzem Rentnerin und bekomme die gesetzlichen Mindestrente," sagt sie. Das sind umgerechnet 90 Euro im Monat. Wenn sie ihr gerade fertiggestelltes Bild verkaufen kann, bekommt sie knapp 60 Euro.



Einmal im Monat triff sich die Gruppe m Kunsthandwerkszentrum, dem Centro Artesanal, das auch Verkaufsraum ist. Dann werden Erfahrungen ausgetauscht, fertige Werke aufgenommen und Verkaufserlöse ausbezahlt, abzüglich einer Gebühr zum Unterhalt des Zentrums.



Die Verbindung zum Weltgebetstag kam über die evangelisch-lutherische Kirche in Concepción zustande. Dort entstand die Idee, die Frauen um ein Themenbild zu der Losung "Wie viele Brote habt ihr?" zu bitten. Schließlich wurde das Motiv der Stickerin Norma Ulloa ausgewählt. Leider erlebte sie selbst es nicht mehr. Sie starb im März 2010 im Alter von 77 Jahren.



Nuñoz hat den Tisch in der Küche gedeckt. Die zwölfjährige Enkelin Angelica brachte ihre Stickarbeit mit. Seit vier Jahren versucht sie sich daran: "Zuerst habe ich nur Häuser gestickt. Später kamen Blumen und Vögel hinzu." Das Sticken ist in der vierten Generation angekommen.