In Bolivien wächst die Kritik an Präsident Morales

"Vorsicht Evo, das Volk ist verärgert"

Auf den Straßen ist wieder weitgehend Ruhe eingekehrt. Aber die Unzufriedenheit der Bolivianer schwelt weiter. Vor rund sechs Wochen gingen ungewöhnliche Bilder um die Welt: Wütend protestierten Tausende gegen die linksgerichtete Regierung von Evo Morales, darunter viele Menschen der armen und indigenen Bevölkerung. Wieso der Groll auf den indigenen Präsidenten, der sich für die Rechte der Armen und der Ureinwohner einsetzt?

Autor/in:
Camilla Landbö
 (DR)

"Morales hat in den letzten zwölf Monaten viele Fehler begangen", meint Rafael Puente. Der ehemalige Vize-Innenminister des Landes und frühere katholische Geistliche unterstützt zwar nach wie vor den "Prozess des Wandels" von Morales, ist aber zugleich einer seiner strengsten Kritiker. 2009 sei ein Erfolgsjahr gewesen, das Volk habe einer von der Regierung vorgeschlagenen Verfassungsreform zugestimmt und den Präsidenten wiedergewählt - mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Daraufhin habe eine "Phase der Trunkenheit der Macht" begonnen. Der Staatschef habe Versprochenes nicht eingehalten, etwa die Beteiligung des Volkes bei Entscheidungen und Reformen, die Konsultation der indigenen Gruppen bei Bauvorhaben wie Landstraßen in ihren Gebieten sowie ein sorgfältiger Umgang mit "Pachamama", der Mutter Erde. Morales lasse umweltschädliche Projekte wie etwa eine Plastiksackfabrik zu.



Ende der Unterdrückung der Urbevölkerung?

Als Evo Morales das Amt des Präsidenten als erster Indigener in der Geschichte Boliviens 2006 antrat, kündigte er tiefgreifende Veränderungen in Politik und Gesellschaft sowie ein Ende der seit 500 Jahren andauernden Unterdrückung der Urbevölkerung an. Zahlreiche Indigene zogen in die Regierung ein und besetzten wichtige Posten auf sämtlichen Ebenen. Die bis dahin herrschende Klasse, überwiegend "Weiße" und Reiche, musste einem Teil der Bevölkerung ihre Plätze überlassen, der bis zu diesem Zeitpunkt von wichtigen Entscheidungen stets ausgeschlossen worden war. Eine politische Revolution.



Mittlerweile gebe es keinen Dialog mehr zwischen der Bevölkerung und Morales, sagt Puente. Er wirft dem Präsidenten vor, autoritäre Entscheidungen zu treffen, ohne Rücksprache mit den betroffenen Gruppen, sozialen Bewegungen oder Gewerkschaften. Ende Dezember 2010 habe Morales völlig überraschend per Dekret die Treibstoffpreise angehoben, "ohne die Reaktionen der Bevölkerung und die Folgen wie etwa einen Anstieg der Lebensmittelpreise abzuschätzen". Er sei allerdings schnell auf die Protestierenden eingegangen und habe das Dekret zurückgezogen. Dennoch: Die Beliebtheitswerte des Präsidenten sind unter 40 Prozent gerutscht. "Die Bevölkerung ist von ihrem Präsidenten enttäuscht", so Puente. Wenn die Regierung weiterhin so verfahre, dann "ist das der Anfang vom Ende".



"Die Bevölkerung ist von ihrem Präsidenten enttäuscht"

Die Situation in den ländlichen Gegenden Boliviens habe sich "leider nur wenig" verändert, kritisiert Puente. Nach wie vor litten viele indigene Bauern an Hunger. Es fehle vielerorts an Schulen, trinkbarem Wasser und Elektrizität. Die Landbewohner sagen zwar, die Regierung Morales habe ihnen die Menschenwürde zurückgegeben, allerdings warten sie noch immer auf verbesserte Lebensbedingungen.



Kürzlich kündigte Morales an, er wolle das Bildungssystems reformieren und Schulen bauen. Zugleich will er eine kostenfreie Gesundheitsversorgung für alle. "Morales muss Fehler korrigieren", sagt Puente. "Zeit dazu hat er noch."