Runder Tisch Heimkinder übergibt Abschlussbericht an Lammert

Rasche Hilfe nötig

Anlässlich der Übergabe des Abschlussberichts des Runden Tisches Heimerziehung an Bundestagspräsident Norbert Lammert haben alle Beteiligten für eine rasche Umsetzung der Empfehlungen plädiert. Die Schicksale der Heimkinder der 50er und 60er Jahre seien alles andere als ein "Routinethema" für das Parlament, sagte Lammert am Mittwoch im Bundestag.

 (DR)

Die Vorsitzende des Runden Tisches, die Grünen-Politikerin Antje Vollmer, forderte eine Umsetzung der Vorschläge noch in diesem Jahr. Geklärt werden müsse unter anderem die Einrichtung der im Abschlussbericht vorgeschlagenen Stiftung mit einem Umfang von mindestens 120 Millionen Euro, sagte Vollmer. Daraus sollen frühere Heimkinder Unterstützungen und Rentennachzahlungen erhalten. Daneben brauche es möglichst schnell regionale Anlaufstellen für die Betroffenen, denen die Länderparlamente noch zustimmen müssen.



Das Bundesfamilienministerium kündigte eine Übergangsregelung für die vom Runden Tisch eingerichtete bundesweite Anlaufstelle an. Nach dem Auslaufen des Mandats der bisherigen Stelle Ende Februar soll die Arbeit für weitere zwölf Monate gesichert sein. Darauf habe man sich mit den Ländern am Dienstagabend verständigt. In einem halben Jahr will der Runde Tisch überdies erneut zusammenkommen und Bilanz ziehen.



Vertreter der Betroffenen bemängelten unterdessen erneut, dass statt einer generellen Entschädigung nur Zahlungen an einzelne Opfer der Heimerziehung beschlossen werden sollten. Viele Heimkinder würden es als neues Unrecht empfinden, wenn sie nicht entschädigt werden, sagte Heimkinder-Vertreterin Sonja Djurovic. Die Scham und das Stigma seien überdies so tief verwurzelt, dass die meisten Opfer sich ohnehin nicht melden würden.



Bereits am Dienstag hatte der Sprecher der ehemaligen Heimkinder in Niedersachsen, Jürgen Beverförden, angekündigt, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg für Renten und Einmalzahlungen für die Betroffenen kämpfen zu wollen. Rolf Breitfeld, nicht stimmberechtigter Vertreter der Heimkinder am Runden Tisch, nannte die Summe von 120 Millionen Euro "erbärmlich". Der Runde Tisch hatte sich allerdings zum Abschluss seiner Beratungen darauf geeinigt, den Fonds nach oben offen zu halten.



Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Hans Ulrich Anke, unterstrich die Erwartung, dass die Hilfen rasch und ohne bürokratische Hürden gewährt werden. Die Kirchen hätten bereits in Absprache mit der Anlaufstelle in akuten Notfällen wie zum Beispiel bei Krankenhausaufenthalten Hilfe geleistet. Dies solle auch in der Übergangszeit beibehalten werden, bis die Stiftung eingerichtet sei.



Der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Johannes Stockmeier, ergänzte, die Kirchen hätten sich bereiterklärt, ihren Anteil an dem geplanten Fonds zu übernehmen. Die Öffentlichkeit erwarte zu Recht, dass nun auch die Länder und der Bund entsprechende Zusagen machen, damit den Betroffenen rasch geholfen werden kann. Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, warnte vor "unnötigen Verzögerungen".



Von den 40ern bis in die 70er Jahre wuchsen in der damaligen Bundesrepublik 700.000 bis 800.000 Kinder und Jugendliche in Heimen auf. Mehr als die Hälfte der Einrichtungen befand sich in kirchlicher Trägerschaft.



Der Runde Tisch kam nach zweijähriger Arbeit zu dem Ergebnis, dass den Heimkindern vielfach schweres Unrecht angetan wurde. Dazu zählen demütigende und brutale Behandlung, Gewalt, sexuelle Übergriffe, Freiheitsentzug und Arbeitszwang. Wie viele ehemalige Heimkinder ein Anrecht auf eine Zahlung aus dem Fonds hätten, ist nicht bekannt. In den vergangenen beiden Jahren haben sich einige tausend Betroffene beim Büro des Runden Tisches und anderen Anlaufstellen gemeldet.