Entwicklungshelfer fordern Niebel auf, Hilfe für Äthiopien zu überdenken

"Generalangriff auf Bauern"

Mit Lob hat Dirk Niebel seine Äthiopienreise begonnen, die Regierung könne "beeindruckende Erfolge" vorweisen. Weniger zufrieden ist die Gesellschaft für bedrohte Völker. Ulrich Delius spricht im Interview mit domradio.de von Willkür und Vertreibung – und fordert den Entwicklungsminister zum Handeln auf.

 (DR)

domradio.de: Sie werfen Äthiopiens Regierung vor, sie ignoriere die traditionellen Landrechte, um die Handelsbilanz zu verbessern. Was geschieht da konkret?

Delius: Es droht rund 225.000 Angehörigen der Völker der Anuak und der Nuer, die im Südwesten Äthiopiens in einer sehr fruchtbaren Region leben, die Vertreibung. Sie sollen in diesem Jahr umgesiedelt werden in neue Dörfer. Offiziell heißt es immer Dann soll es ihnen besser gehen, wir haben aber leider nicht den Eindruck, dass sich die Situation der Menschen durch die Vertreibung verbessern wird.



domradio.de: Niebel bezeichnet Afrika als Chancenkontinent. Das reizt sie zum Widerspruch. Denn sie sagen, das gilt nicht für die äthiopischen Bauern. Warum nicht?

Delius: Es ist wie ein Generalangriff auf die Bauern in diesem Land, die ja sehr verarmt sind, wenn die äthiopische Regierung nun beschließt, so viele Menschen umzusiedeln, um eben letztlich das Land vor allen Dingen ausländischen Investoren zu geben. Und vor allen Dingen Firmen aus Indien und Saudi-Arabien, die dort im großen Stil Plantagen aufbauen wollen.



domradio.de: Welche Plantagen sind das? Und welcher Möglichkeiten beraubt das die Bauern?

Delius: Es sind Weizen- und Reisplantagen. Aber man redet auch immer wieder auch über Energiepflanzen, die dort angebaut werden. Für die lokalen Bauern bedeutet das einfach erst mal nicht nur, dass sie von ihren Feldern vertrieben werden, sondern auch dass ihr Zusammenhalt als ethnische Gruppe gefährdet ist. Weil sie dann auf verschiedene Dörfer verteilt werden. Man stellt im Prinzip die ganze ländliche Ordnung in diesen Regionen, die es seit Generationen gibt, in Frage.



domradio.de: Welche Position haben die Kirchen und Nichtregierungsorganisationen in Äthiopien, wenn Menschenrechtsverletzungen angeprangert werden?

Delius: Es gibt viel Widerspruch von Seiten von Nichtregierungs-Organisationen gegen diese Landwirtschaftspolitik. Es gibt kein Land in Afrika, wo man so offensiv und so kritisch über diesen Ausverkauf von Land debattiert. Und da mischen sich natürlich auch die Kirchen in die Debatte ein, weil sie die große Sorge habe: Wie geht es weiter mit der Landbevölkerung in Äthiopien?



domradio.de: Wie sollte denn Dirk Niebel seine Entwicklungspolitik überdenken?

Delius: Eine Grundmaxime deutscher Entwicklungspolitik ist immer die Partizipation gewesen, die Beteiligung der von der Politik Betroffenen auch sicherzustellen. Wir wissen definitiv, dass in dieser Region Äthiopiens diese Beteiligung nicht stattfindet. Und das muss er einfordern. Ansonsten unterstützt man einen Staat, der einen Landwirtschaftspolitik betreibt, die Menschenrechte massiv verletzt.



domradio.de: Und wie kann diese Beteiligung sichergestellt werden?

Delius: Es müssten die Vertreter dieser ethnischen Gemeinschaften stärker eingebunden werden in den Planungsprozess. Wenn das alles über sie hinweg geschieht, wie es bislang der Fall ist, dann ist einfach nicht gewährleistet, dass die Menschen auch verstehen, warum sie umgesiedelt werden. Sie empfinden das als reine Zwangsmaßnahme und Willkür bislang. Und das ist nicht in Ordnung.



Das Gespräch führte Monika Weiß.