Mit dem "Rheinischen Merkur" endet ein Stück Nachkriegszeit

Leitstern der Konservativen

Ein Stück publizistischer Nachkriegsgeschichte geht zu Ende: Zum letzten Mal erscheint der "Rheinische Merkur" in einer eigenständigen Ausgabe, in der Woche danach liegt sein Nachfolgeprodukt als Beilagen-Zeitung in einer Teilauflage der "Zeit" bei. Ein bedauerlicher Abschied.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Rheinischer Merkur: Es heißt Abschied nehmen (DR)
Rheinischer Merkur: Es heißt Abschied nehmen / ( DR )

Die Wochenzeitung, für ihre Leser einst eine Bastion bürgerlichen und christlich-konservativen Denkens, war über Jahrzehnte ein Spross der Adenauer-Ära. Und in vielem ist ihr Schicksal mit der von Orientierungslosigkeit und Strömungspluralismus geprägten Entwicklung verknüpft, die das kirchliche Milieu während der nachfolgenden Generationen in Deutschland nahm.



Mit welch hoher republikanischer Gesinnung die Gründungsredaktion um den Publizisten Franz Albert Kramer an den Start ging, ließ sie feinsinnig im Erscheinungsdatum durchblicken: Die Erstausgabe des Merkur kam am 15.3.1946 heraus - an den "Iden des März", Jahrestag der Ermordung des Alleinherrschers Julius Caesar. Mit seinem Titel knüpfte das zunächst in Koblenz erscheinende Blatt an den 150 Jahre zuvor gegründeten "Rheinischen Merkur" des kämpferischen katholischen Intellektuellen Joseph Görres an - dessen Zeitung hatte allerdings nur 357 Ausgaben erlebt.



Kein parteigebundenes  Profil

Als Wochenzeitung mit einem konservativen und kirchlichen, aber nicht parteigebundenen Profil nahm der "Merkur" bis in die 1970er-Jahre hinein spürbaren Einfluss auf die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik. In der Kulturrevolution von 1968 übte sich die Zeitung ähnlich wie der CSU-nahe "Bayernkurier" als Sprachrohr eines konservativen Widerstands. Desgleichen arbeitete sich der Merkur an dem sozialdemokratischen Bundeskanzler Willy Brandt (1969-74) und dessen Ostpolitik kritisch ab. Ironischerweise brachte das Ende der Ära Brandt auch den konservativen Kurs der Zeitung ins Schlingern.



Dass der "Merkur" überhaupt so lange überlebte, hängt mit dem Bündnisdenken zusammen, das ihm sein Gründer Kramer ins Stammbuch schrieb. Kramer ging es um eine Aufhebung der konfessionellen und politischen Spaltung im konservativen Lager. Trotz katholischer Trägerschaft bewahrte der "Merkur" eine überkonfessionelle Ausrichtung - im Kreis seiner prominenten Herausgeber ebenso wie im Inhaltlichen.



Expansion unter Rutz

Die gleiche Offenheit erleichterte auch Zusammenschlüsse mit anderen Blättern: Nachdem 1971 das Projekt der katholischen Kirche gescheitert war, eine bundesweite Wochenzeitung mit dem Namen "Publik" zu etablieren, schuf der damals noch finanzkräftige "Merkur" eine Auffanglösung. 1980 vereinigte er sich mit dem vormals protestantischen Blatt "Christ und Welt". Unter Michael Rutz, seit 1994 Chefredakteur, streckte der "Merkur" nicht nur seine Fühler ins Fernsehgeschäft aus, sondern nahm auch den renommierten "Filmdienst" und den Medienfachdienst "Funk Korrespondenz" unter seine Fittiche, und 2002 kaufte er die Abonnentenkartei der eingegangenen Zeitung "Die Woche".



All das konnte nicht verhindern, dass der "Merkur" immer weiter schrumpfte. Mit einer Auflage von 220.000 (und einem Verkaufspreis von 20 Pfennig) gestartet, sank die Zahl der zum vollen Preis verkauften Exemplare zuletzt unter 20.000. Die Träger, hauptsächlich acht katholische Bistümer und die Deutsche Bischofskonferenz, bezuschussten den Redaktionsbetrieb über Jahre hinweg, doch ein Ende der Roten Zahlen kam nicht in Sicht. Gegen den Finanzdruck vermochte auch nicht anzukommen, dass der "Merkur" 2006 den luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker als Mitherausgeber gewann und einen guten Ruf für scharfe Analysen, hohe Kompetenz in der Außenpolitik und ein gelungenes Layout genoss.



Zum 60-jährigen Bestehen noch große Feier

Die Feier seines 60-jährigen Bestehens hielt der "Rheinische Merkur" an symbolischer Stätte auf dem Petersberg bei Bonn ab. Als Ehrengast nahm Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) teil. Vier Jahre später sahen sich die deutschen Bischöfe genötigt, ihre finanzielle Unterstützung in der bisherigen Form wegen eines "erheblichen Zuschussvolumens und der gesunkenen Abonnentenzahl" aufzugeben. Ein Staatsbegräbnis bleibt dem traditionsreichen Blatt dennoch erspart. Seine Abonnenten erhalten das Blatt künftig in gewandelter Form als Beilage zusammen mit der Hamburger "Zeit", der nunmehr einzigen verbliebenen Wochenzeitungs-Gründung der Nachkriegszeit.



In einem Abschiedswort für die Zeitung dankte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, den Redakteuren und Herausgebern des "Rheinischen Merkur" für ihre Arbeit. Über 64 Jahre, davon die meiste Zeit in kirchlicher Trägerschaft, habe die Wochenzeitung "auf höchstem journalistischen Niveau das Zeitgeschehen begleitet und darauf hingewirkt, dass in Deutschland die Lebensprinzipien des Christentums Eingang finden in die politischen Entscheidungen", so Zollitsch. Damit habe sie einen Beitrag dazu geleistet, "dass unser Land sich seiner christlichen Wurzeln bewusst bleibt". Für die Kirche sei diese Arbeit "ein Segen" gewesen.