Denkmalschutz-Stiftung 20 Jahre nach der Wiedervereinigung

«Die Kirche darf nicht untergehen»

20 Jahre nach der Wiedervereinigung sind viele der einst einsturzgefährdeten Kirchen in den neuen Bundesländern saniert. Besonders stolz ist Gottfried Kiesow auf die in diesem Jahr wiedereröffnete Georgenkirche in Wismar. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Denkmalschutz-Stiftung im KNA-Interview.

 (DR)

KNA: Herr Professor Kiesow, wie sieht Ihre Bilanz der Kirchensanierung 20 Jahre nach der Wiedervereinigung aus?

Kiesow: Bundesweit hat die Stiftung seit ihrer Gründung vor 25 Jahren rund 1.500 Sakralbauten mit 178 Millionen Euro gefördert, ein großer Teil von ihnen steht in den neuen Bundesländern. Dazu gehören große Kirchen, aber auch Kapellen und Dorfkirchen. Die schlimmsten Fälle, was etwa einsturzgefährdete Dächer oder Ähnliches angeht, befinden sich inzwischen wieder in einem guten Zustand, aber wir haben auch noch viel vor uns. Vielfach sind die Innenräume nicht saniert, Wandgemälde nicht gesichert oder Altäre nicht restauriert.



KNA: Waren Sie bei Ihren ersten Besuchen in den neuen Bundesländern geschockt über den Zustand der Kirchen?

Kiesow: Ja, es war ein Schock. Die Realität übertraf bei weitem das, was wir befürchteten. Manche Kirchen standen ja kurz vor dem Einsturz. Einen gewissen Eindruck hatte ich schon zu DDR-Zeiten. Ich habe regelmäßig meinen Bruder in Rostock besucht und konnte sehen, dass etwa die Georgenkirche in Wismar und die Jakobikirche in Stralsund Jahr für Jahr immer mehr verfielen.



KNA: War es sehr schwierig für Ihre Stiftung, die Menschen im weitgehend säkularen Ostdeutschland für die Sanierung zu gewinnen?

Kiesow: Nein, gar nicht. Die Bereitschaft, sich für Kirchen einzusetzen, war von Anfang an sehr groß, auch von denen, die - aus welchen Gründen auch immer - aus der Kirche ausgetreten waren. Ich kenne sogar viele Fördervereine, in denen kaum Katholiken oder Protestanten sind. Vor allem in den Dörfern gibt es unzählige Kirchbauvereine. Ohne sie hätten wir unsere Arbeit gar nicht machen können.



KNA: Sie haben viele Einweihungen einst verfallener Kirchen miterlebt. Was bedeutet es für einen Ort und seine Bewohner, wenn die Kirche wieder intakt ist?

Kiesow: Es gibt wieder einen Dorfmittelpunkt, eine Sehenswürdigkeit, die natürlich auch Touristen anzieht. Der Ort ist kein weißer Fleck auf der Landschaft mehr. Nach der Wende gab es zudem bei vielen Bewohnern die Erkenntnis, dass es überhaupt keinen Ort für Kommunikation mehr gibt, wenn die Kirche nun auch noch untergeht. Schließlich sind dort vielfach Lebensmittelgeschäfte oder die Schule als kultureller Sammelpunkt verschwunden. Da bleibt dann nur der Kirchenraum, in dem man sich treffen kann, Konzerte oder Lesungen hören und Gespräche miteinander führen kann. Ich glaube auch, dass viele durch die Nutzung der Kirchenräume wieder zu ihrem Glauben zurückfinden.



KNA: Was ist für Sie ein besonders gelungenes Beispiel für eine gute Sanierung?

Kiesow: Auf die Georgenkirche in Wismar, eine Backsteingotikkirche, die am 10. Oktober einen Festgottesdienst zum Eröffnungsjahr feiert, sind wir besonders stolz. Unsere Stiftung hat etwa die Hälfte der Sanierungskosten von insgesamt 40 Millionen Euro aufgebracht. Ohne diesen Anstoß wäre diese Ruine vermutlich nicht wieder zur Kirche geworden.



KNA: Was sind Ihre wichtigsten Projekte für die nächsten Jahre?

Kiesow: Es gibt die Restaurierungsarbeiten an der Jakobikirche in Stralsund, und es kommen natürlich immer wieder neue Sanierungsfälle hinzu. Inzwischen ist aber der Bedarf in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen groß, weil die neuen Bundesländer sehr viel aufholen konnten. So steht etwa für die nächste Zeit auch die Sanierung zweier Kirchen in Regensburg an. Zugleich sind die staatlichen Mittel in der Denkmalpflege bundesweit sehr stark gekürzt worden, ich denke sogar in einem Maß, wie es trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten nicht zu verantworten ist; die Kirchen haben ebenfalls ihre Etats gekürzt.



KNA: Was kann der Westen vom Osten lernen, wenn dort jetzt in vielen Bistümern weitere Kirchenschließungen anstehen?

Kiesow: Verantwortliche sollten nicht wie im Osten den Umweg gehen und Kirchen erst verfallen lassen. Stattdessen sollten sie überlegen, wie man Gotteshäuser nutzt, bis vielleicht wieder eine neue Welle der Frömmigkeit entsteht. In der Geschichte gab es etwa wie in der Aufklärung immer wieder Zeiten, in denen man meinte, keine Kirchen mehr zu brauchen und sie etwa als Pferdeställe nutzte. Dann gab es die Frömmigkeitswelle im 19. Jahrhundert. Man sollte die Kirchen wenigstens "einmotten", wenn sie derzeit nicht genutzt werden und sie schon gar nicht einfach abreißen.



Das Gespräch führte Birgit Wilke.