Moraltheologe Bormann zur Debatte um Sicherheitsverwahrung

"Der Gedanke von Vergebung wird nicht berücksichtigt"

Veröffentlichung von Namen und Wohnort von entlassenen Straftätern, elektronische Fußfesseln und "neue Verwahranstalten". Die Debatte um Alternativen für die nicht mehr gestattete Sicherheitsverwahrung dauert an. Im domradio.de-Interview äußert sich der Tübinger Moraltheologe Franz-Josef Bormann zum Umgang unserer Gesellschaft mit Straftätern.

 (DR)

domradio.de: Herr Bormann, einsperren zur Vorbeugung - das ist kurz gesagt die Sicherungsverwahrung. Eigentlich herrscht bei uns im Strafrecht der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten".
Franz-Josef Bormann: Das ist richtig und das muss sich auch gar nicht ausschließen. Bei der Diskussion um die Sicherungsverwahrung muss man verschiedene Ebenen unterscheiden: Zuerst einmal die rein gesetzestechnische Frage, hier kann man grundsätzlich sagen, dass die Sicherungsverwahrung nur als letztes Mittel überhaupt in Betracht kommt. Und man muss überlegen, wie das rechtsstaatlich zu beurteilen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass zumindest ein generelles Verbot der nachträglichen Sicherungsverwahrung nicht überzeugend ist. Die zweite Frage ist eine rechtspolitische: Gehen wir mit den von Ihnen genannten 100 Schwerkriminellen richtig um. Das letzte ist die moralische Dimension: Wie sollen die verschiedenen Güter abgewogen werden, wie kann man also die Persönlichkeitsrechte straffälliger Bürger mit den legitimen Sicherheitsinteressen der Gesellschaft in Ausgleich bringen? Das ist der moralische Kern dieser Frage.

domradio.de: Wie passt den die derzeitige Diskussion mit dem christlichen Verständnis von Neubeginn und Versöhnung zusammen?
Bormann: Davon ist natürlich im Moment in der allgemeinen Diskussion gar keine Rede. Man spricht vor allen Dingen von den verschiedenen Instrumenten des Rechtsstaats. Wenn man bedenkt, dass die bundesrepublikanische Gesellschaft immerhin zu zwei Dritteln aus getauften Christen unterschiedlicher Konfessionen besteht, müsste man eigentlich erwarten, dass der Gedanke von Vergebung, Versöhnung, Neubeginn auch im Horizont christlicher Ethik berücksichtigt und bedacht würde. Das ist aber keineswegs der Fall, was sehr bedauerlich ist. Das ist sicher ein Manko in der öffentlichen Diskussion.

domradio.de: Juristisch betrachtet geht es bei „Neubeginn" ja um Resozialisierung. Ist die Resozialisierung aus christlicher Sicht notwendig?
Bormann: Auf jeden Fall! Die Strafe ist kein Selbstzweck. Der straffällig gewordene Bürger ist auch mehr als nur ein Straftäter, er bleibt Mensch und ist weiterhin Träger von Grundrechten und Menschenwürde. Der Blick muss auf jeden Fall über die Straftat hinaus in die Zukunft, auf ein wieder normales Leben gerichtet werden. Es soll wieder ein normales, rechtskonformes Leben ermöglicht werden. Von daher ist es überaus wichtig, auch den Zielhorizont der Reintegration auch von Straftäter in die Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

domradio.de: Man will die Reintegration der Straftäter in die Gesellschaft, aber unter Beobachtung. Eine Idee ist der sogenannte Internet-Pranger. Da gibt es inzwischen einen breiten Widerstand. Adresse, Name und Foto des entlassenen Straftäters sollen da im Internet veröffentlicht werden. Das erinnert stark an das Mittelalter. Welche Funktion hätte ein solcher Pranger für die Gesellschaft?
Bormann: Zunächst sei daran erinnert, dass dieses Wort Pranger historisch gesehen ein Strafwerkzeug bezeichnete. Gleichzeitig wird diese Idee mit dem Internet-Pranger, die ich für relativ populistisch halte, nun unter einer ganz anderen Funktionsausrichtung diskutiert: Man will damit die Sicherheit fördern. Ob das funktionieren würde, ob das überhaupt ein wirksames Instrument zur Befriedigung der legitimen Sicherheitsinteressen der Bevölkerung wäre, das sei einmal dahingestellt, aber auf jeden Fall würden auch noch weitere Funktionen mit einem solchen Instrument mit realisiert. Man spricht ja auch von einer Einladung zum Missbrauch, man würde dem allgemeinen Voyeurismus Tür und Tor öffnen, man würde Freiraum für Denunziationen bis hin zur Menschenjagd schaffen. Eine weitere Funktion, die ich für ganz besonders problematisch halte, wäre die Einladung zur Selbstjustiz. Im Mittelalter war es ja durchaus so, dass der an den Schandpfahl, an den Pranger gestellte Täter auch von den vorübergehenden Bürgern öffentlich geschmäht und mit Gegenständen beworfen werden durfte. Da ist es ganz deutlich, dass die Grenze zur Selbstjustiz fließend würde. Das wäre eine Konsequenz einer solchen Einrichtung, die man im modernen Rechtsstaat auf keinen Fall fördern dürfte. Von daher glaube ich, ist diese Idee vielleicht gut gemeint, aber nicht sehr gut durchdacht.

domradio.de: Das scheint insgesamt eine sehr schwerwiegende und schwierige Frage zu sein, die die Politik da zu entscheiden hat. Inwieweit stößt diese Diskussion über den Umgang mit Schwerverbrechern letztendlich an die Grenzen unserer menschlichen Möglichkeiten?
Bormann: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es eine 100%-ige Sicherheit der Bürger in keinem Bereich gibt, also auch nicht in der Frage geben kann, wie die Gesellschaft begründeterweise mit Straftätern umgehen kann. Schuld verweist immer auf Grenzen und Grenzen des Umgangs mit der Schuld sind allgegenwärtig. Oft werden Straftäter gar nicht überführt, von daher bleiben massive Probleme bestehen. Es wird niemals gelingen, allen Beteiligten 100%-ig Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das ist in keinem Rechtsstaat möglich. Gerade der Bereich des Umgangs mit solch schweren Formen von Schuld ist natürlich von Vorneherein nicht dazu angetan, glatte Lösungen zu schaffen. Somit sind hier grundsätzliche Grenzen menschlicher Möglichkeiten in den Blick zu nehmen.