Verschwörungstheorien nach dem Bischofsmord in der Türkei

Geistesgestört oder ferngesteuert?

Wie verrückt ist Murat A.? Diese Frage stellen sich nicht nur die Ärzte und Staatsanwälte in Iskenderun, die sich mit dem mutmaßlichen Mörder von Bischof Luigi Padovese befassen, sondern auch Christen in der ganzen Türkei und weit darüber hinaus.

Autor/in:
Bettina Dittenberger
 (DR)

Der 26-Jährige wurde am Donnerstag an eine psychiatrische Klinik im südtürkischen Adana überstellt, wo auf Anweisung der Staatsanwaltschaft sein Geisteszustand untersucht werden soll. Ob Murat A. durchgedreht ist oder hinter der Tat mehr steckt, das wird die Justiz zu klären haben. Die Spekulationen schießen inzwischen wild ins Kraut.

Sorge um den Geisteszustand von Murat A. gab es schon vor der Bluttat. Der junge Mann, der seit viereinhalb Jahren als Fahrer und Leibwächter für den Bischof arbeitete, litt nicht nur nach Aussagen seiner eigenen Familie an seit Wochen zunehmenden Depressionen. Auch Padoveses Angehörige sagten, der Bischof habe seit einiger Zeit von den geistigen Störungen seines Fahrers gewusst und sich gesorgt - ohne freilich um seine Sicherheit zu fürchten. Dass der junge Mann aber mit einem Mal so verdreht sein soll, dass er wie von Sinnen auf seinen Arbeitgeber einstechen und ihm mit dem Küchenmesser halb den Kopf abtrennen konnte, stimmt viele Beobachter skeptisch.

Erinnerung an vergangene Bluttaten
Anlass zu solcher Skepsis haben die türkischen Christen natürlich, denkt man an Bluttaten der vergangenen Jahre: an den katholischen Priester Andrea Santoro, der 2006 in seiner Kirche in Trabzon erschossen wurde; an die drei protestantische Missionare in Malatya, die 2007 ähnlich brutal erstochen wurden; und an den armenischen Journalisten Hrant Dink, der 2007 auf offener Straße erschossen wurde. Auch in diesen Fällen handelte es sich bei den Tätern um junge Männer, wenn auch nicht um Bekannte des Opfers.

Über einen politischen Mord mit «islamistischem» Hintergrund spekuliert daher die Presse im westlichen Ausland, darunter Zeitungen in Italien und Spanien. Möglicherweise ganz im Sinne der Hintermänner, wie manche türkische Beobachter glauben, die sich im Spiegelkabinett der türkischen Innenpolitik auskennen. Ein im vergangenen Jahr aufgedeckter Putschplan von unzufriedenen Militärs sah vor, prominente Christen zu ermorden, um dadurch die gemäßigt-islamische Regierung diskreditieren und stürzen zu können. Ausdrücklich wurden in dem Dokument die Morde an Santoro, Dink und den Missionaren als zweckdienlich gelobt. Die Gerichte untersuchen noch immer, ob sie auch von den Militärs in Auftrag gegeben wurden.

Eigentlich der Papst als Ziel?
Eine ganz andere Theorie kolportiert die kemalistische Zeitung
«Cumhuriyet": Murat A. habe eigentlich den Papst töten sollen, mit dem sich Padovese auf Zypern treffen wollte - und nur deshalb den Bischof niedergestochen, weil dieser Wind von dem Komplott bekommen habe. Das Blatt «Takvim» bericht dagegen von einer angeblichen homosexuellen Affäre zwischen dem Bischof und seinem Fahrer sowie einer Vergewaltigung, gegen die A. sich habe wehren wollen. Ungeniert geben alle Zeitungen - «Cumhuriyet» wie «Takvim» - diese angeblichen Aussagen des Tatverdächtigen als direkte Zitate wieder.

Selbst die kurdische PKK oder Israel bemühen manche türkische Kommentatoren für den Bischofsmord, weil dieser zeitlich mit dem israelischen Angriff auf ein türkisches Schiff und örtlich mit einem PKK-Anschlag auf einen Militärstützpunkt in Iskenderun zusammentraf. In der katholischen Gemeinde von Istanbul kursiert dagegen das Gerücht, der Bischof habe seinen muslimischen Fahrer zum Christentum bekehren wollen - und ihn damit in eine Gewissenskrise gestürzt, die ihn in den Wahnsinn getrieben habe.