Der Ethikrat debattiert über Migranten und Gesundheit

Der Patient Zuwanderer

Bei seiner Jahrestagung nahm sich der Deutsche Ethikrat am Donnerstag dem Thema "Migration und Gesundheit" an. In Deutschland leben mehr als 15 Millionen Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund - und bedeuten für das Gesundheitswesen besondere Herausforderungen.

Autor/in:
Karin Wollschläger
 (DR)

Denn Migranten haben Studien zufolge oft einen schlechteren Zugang zu medizinischer Hilfe als die sonstige Bevölkerung. Das Gremium blicke damit über "seinen klassischen Tellerrand von Biomedizin und Lebenswissenschaften" hinaus, so der Ethikratvorsitzende Edzard Schmidt-Jortzig. Wie groß das Interesse an dem Thema ist, zeigte nicht zuletzt der bis auf den letzten Platz besetzte Saal am Berliner Gendarmenmarkt: 350 Teilnehmer waren zu der öffentlichen Tagung gekommen.

Integrations-Staatsministerin Maria Böhmer (CDU) sieht "außerordentlich großen Handlungsbedarf" bei der medizinischen Versorgung von Migranten. Sie mahnte eine "interkulturelle Öffnung im Gesundheitswesen" an. Migranten müssten den gleichen Zugang zu medizinischen Angeboten haben wie andere Bürger. Als einen Schritt zur Überwindung von Barrieren forderte Böhmer "interkulturell und medizinisch geschulte Dolmetscher", bezahlt von den Krankenkassen. Laienübersetzer wie Angehörige oder Pflegekräfte reichten nicht.

Steigende Zahl älterer Migranten
Eine weitere Herausforderung ist die steigende Zahl älterer Migranten. Mit dem Alter wächst der medizinische Betreuungs- und Pflegebedarf. Pflegeeinrichtungen und ambulanten Dienste, so Böhmer, sollten mit ihren Angeboten stärker auf die Bedürfnisse dieser Patienten eingehen. So geht beispielsweise bei Demenz häufig die erlernte Zweitsprache verloren. Projekte wie das erste türkische Altenpflegeheim Deutschlands in Berlin-Kreuzberg sind hier vorbildhaft und zeigen, wie die Begleitung anders geht.

Der Mainzer Medizinethiker Ilhan Ilkilic verwies auf Besonderheiten des interkulturellen Arzt-Patienten-Verhältnisses. Dazu zählen etwa das kulturell-religiös bedingte Verständnis von Intimität und Scham oder auch religiöse Speisevorschriften. "Für einen gläubigen Muslime ist es nicht akzeptabel, wenn er ein Präparat einnehmen soll, dass aus Schweinen gewonnen wurde", so Ilkilic. "Da ist es nicht immer einfach, übereinzukommen, was das wirklich Beste für den Patienten ist." Ilkilic betonte, immens wichtig sei eine "kultursensible Kommunikation", vor allem auf Seiten des Arztes.

Der Bielefelder Epidemiologe Oliver Razum verwies darauf, dass Migranten nicht per se kränker als andere seien. Dies zeigten Studien. Dennoch falle auf, dass Migranten seltener als der Rest der Bevölkerung medizinische Angebote nutzten und deutliche Defizite bei der Prävention hätten. Razum zufolge sind Zuwandererkinder in der Regel seltener geimpft, viele durchlaufen nicht alle Vorsorgeuntersuchungen. Weiterer Faktor, der sich negativ auswirken kann: Migranten arbeiten häufig in Berufen mit höherer körperlicher Belastung. Hinzu kommen spezielle psychosoziale Belastungen wie etwa die Trennung von der Familie oder die Anpassung an einen neuen Kulturkreis.

Die Versorgung illegaler Migranten
Ein weiteres Feld, wo es brennt, ist die medizinische Versorgung illegaler Migranten. Obwohl das medizinische Personal inzwischen nicht mehr verpflichtet ist, diese Patienten den Behörden zu melden, herrscht nach wie vor große Unsicherheit und Unkenntnis über die Rechtslage vor. So sei immer noch wenig bekannt, dass viele Illegale dennoch Anspruch auf finanzielle Unterstützung im Krankheitsfall hätten, kritisierte Böhmer.

Die Leiterin der "Malteser Migranten Medizin" in München, Bettina Schlemmer, rief die Politik auf, zügig die Rechte von "Illegalen" auf medizinische Versorgung zu verbessern. Als Beispiel nannte sie die Einführung eines "anonymen Krankenscheins". Der jetzige Zustand, Hilfen über Anlaufstellen zu vermitteln, sei nur ein "Tropfen auf den heißen Stein". Zudem sei gerade in ländlichen Region die Versorgungslage sehr schlecht.