Kardinal Sterzinsky: Kirche hat Thema Missbrauch vernachlässigt - Vorwürfe nun auch in Bonn

Nachdrückliche Verurteilung

Die Debatte über die sexuellen Übergriffe am Berliner Canisius-Kolleg und weiteren Jesuitengymnasien hält an. Kardinal Georg Sterzinsky verurteilte den Umgang der Kirche mit Missbrauch durch Geistliche nachdrücklich. In der Vergangenheit sei das Thema "offensichtlich vernachlässigt" worden, erklärte der Berliner Erzbischof. Missbrauchsvorwürfe gibt es nun auch beim Bonner Aloisiuskolleg.

 (DR)

Sterzinsky rief in einem Beitrag für die Berliner Boulevardzeitung «B.Z.» (Donnerstag) dazu auf, in der Ausbildung von Seelsorgern und Pädagogen die Haltung der Kirche zu sexuellem Missbrauch klar zu benennen und auf die entsprechenden Konsequenzen zu verweisen. Er lobte den Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes.
Mit der Offenlegung der Missbrauchsfälle an dem Jesuitengymnasium habe dieser «mutig den wichtigen Schritt an die Öffentlichkeit gewagt». Zugleich betonte Sterzinsky, über die Ereignisse dürfe nicht vergessen werden, «dass der große Teil der Geistlichen in verlässlicher und guter Weise seinen Dienst tut».

Missbrauchsvorwürfe jetzt auch in Bonn
Nach dem Bekanntwerden von Missbrauchsfällen an deutschen Jesuitenschulen hat das Aloisiuskolleg in Bonn erklärt, dass Missbrauchsvorwürfen am Bonner Kolleg nachgegangen worden sei. Es gebe Gerüchte und Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs, die sich auch auf das Aloisiuskolleg bezögen, erläuterte Kollegsrektor Pater Theo Schneider am Donnerstag in Bonn.
«Diese beziehen sich ausschließlich auf die Vergangenheit und nicht auf aktive Jesuiten und Mitarbeiter des Kollegs», betonte er.

Solche Hinweise seien seit Inkrafttreten der Richtlinie zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Ordensleute im Jahr 2003 behandelt worden, erklärte Schneider. Die Fälle seien zur Prüfung an die zuständigen Beauftragten des Jesuitenordens für Missbrauchsfälle weitergegeben worden. Die Untersuchungen aller Fälle seien seiner Kenntnis nach abgeschlossen worden, erklärte der Kollegsrektor des staatlich anerkannten Gymnasiums für Jungen und Mädchen in der Trägerschaft des Jesuitenordens.

Von dem am vergangenen Mittwoch in der Online-Ausgabe der «Süddeutschen Zeitung» erwähnten Missbrauchsvorwurf am Aloisiuskolleg aus den 60er Jahren habe er bislang keine Kenntnis gehabt, erklärte der Jesuitenpater. Schneider unterstrich in seiner Stellungnahme seine Bereitschaft zum Gespräch. «Dass ich sexuellen Missbrauch aufs Schärfste verurteile, dass ich Opfer von Verbrechen um Verzeihung bitte, persönlich und als Vertreter unseres Kollegs, ist mir ein großes Anliegen», erklärte er.

Pädophile Priester im Amt belassen?
Der Berliner Sexualmediziner Klaus Michael Beier plädierte dafür, pädophile Priester im Amt zu belassen, sofern sie ihre Neigung kontrollieren könnten. Unterdessen wandten sich Missbrauchsopfer an Berliner Rechtsanwälte.

Beier, Leiter des Forschungsprojekts für Pädophile «Kein Täter werden» an der Charite, rief die Kirche in einem Interview des Berliner «Tagesspiegel» auf, betroffenen Geistlichen mehr Hilfen anzubieten, statt ihre Neigung nur zu verdammen. «Wenn potenzielle Täter wüssten, es gibt ein Netz, das einen auffängt, würden das viele in Anspruch nehmen», so Beier.

Die Berliner Anwältin Manuela Groll kündigte im RBB-radioeins an, sie bereite eine Zivilklage gegen das Canisius-Kolleg im Auftrag eines Mandanten vor. Dieser trete als Hauptbevollmächtigter auf, an den sich weitere Opfer wenden könnten. Groll bezeichnete die Chancen einer Klage als sehr aussichtsreich, da die Fälle möglicherweise zivilrechtlich noch nicht verjährt seien. Zur Begründung führte die Anwältin an, dass die damalige Schulleitung trotz Anzeichen und Hinweisen nicht verhindert habe, dass weitere Opfer geschädigt worden seien.

Vorwürfe an die Medien
Die Elternvertreterin am Canisius-Kolleg, Parwin Mani, warf den Medien «Hysterie» in der Berichterstattung vor. Das entspreche nicht dem Gefühl der an der Schule unterrichteten Kinder und ihrer Eltern, sagte Mani in einem Interview der «Berliner Morgenpost». Im Canisius-Kolleg herrsche heute eine offene und transparente Atmosphäre, «in der zugehört und hingeguckt wird». Die Veröffentlichung der Vorfälle durch Mertes schaffe «eher zusätzliches Vertrauen».

Die Katholische Elternschaft Deutschlands (KED) rief zu einer umfassenden Analyse der Missbrauchsfälle auf. Es sei zu überlegen, «was sich in der katholischen Kirche ändern muss, damit solchen Auswüchsen künftig besser entgegengewirkt wird», sagte KED-Bundesvorsitzende Marie Theres Kastner in Bonn. Dabei seien alle kirchlichen Institutionen und Verbände gefragt. Besonders wichtig seien Initiativen zu Hilfe, Aufarbeitung und Prävention, so Kastner.