Jesuiten-Pater von Gemmingen zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle

"Scham, Trauer und Mitleid mit den Opfern"

Pater Eberhard von Gemmingen, bis vor kurzem Chef der Deutschen Redaktion bei Radio Vatikan, ist Jesuitenpater, der im betroffenen Jesuitenkolleg in St. Blasien im Schwarzwald Schüler und später Präfekt war. Im domradio-Interview bedauert er die "entsetzlichen Vorfälle", warnt aber vor einer Verurteilung des gesamten Ordens aufgrund Jahrzehnte zurückliegeder Taten.

Pater Eberhard von Gemmingen / © Johannes Schröer (DR)
Pater Eberhard von Gemmingen / © Johannes Schröer ( DR )

domradio: Der Jesuitenorden selbst hat die Missbrauchsfälle öffentlich gemacht, um damit mögliche weitere Opfer ausfindig zu machen. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen Ihres Ordens?
Pater von Gemmingen: Das Vorgehen ist natürlich hervorragend, dass nicht die Presse an die Öffentlichkeit geht, sondern wir selber. Über kurz oder lang wäre es sowieso rausgekommen, und es ist immer besser, der Sünder beichtet, als das die anderen mit dem Finger auf ihn zeigen. Das Vorgehen finde ich sehr gut, ich finde natürlich die Tatsache und die Fakten entsetzlich.

domradio: Einer der beiden Beschuldigten war auch im Jesuitenkolleg in St. Blasien im Schwarzwald tätig. Dort werden mögliche weitere Opfer vermutet. Sie selbst waren Schüler und später Präfekt an dieser Schule. Wie war Ihre persönliche Reaktion auf diese Nachricht?
Pater von Gemmingen: Also zunächst bewegt einen natürlich Scham, Trauer und Mitleid mit den Opfern. Natürlich waren die Vorfälle entsetzlich, aber man muss auch dazu sagen, tausende vielleicht zehntausende von Schülerinnen und Schülern sind durch unserer Kollegien in Berlin, Bad Godesberg und St. Blasien gegangen und haben dadurch eine fantastische Vorbereitung für das Leben bekommen. Also bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, so sehr ich mich für die schlimmen Fälle wirklich schäme.

domradio: Die Jesuiten genießen gerade im pädagogischen Bereich hohes Ansehen. Die Nachfrage nach den Jesuitenschulen ist enorm. Wird sich das nun ändern?
Pater von Gemmingen: Ich hoffe, es wird sich nicht ändern und ich glaube, die Menschheit ist nicht so töricht, dass sie von einem schwarzen Schaf auf alle schließt. Denn die beiden Patres, die sich da vergangen haben, sind auch schon lange aus dem Orden ausgetreten. Das liegt lange zurück. Ich hoffe, die Menschheit ist so klug, um nicht zu sagen, diese Schulen sind überhaupt schlecht, Es wäre ja ganz falsch, wenn man sagen würde, bei der Kirche ist alles verkehrt, bei den Schulen und bei den Jesuiten. Das wäre wirklich sehr dumm.

domradio: Wie können solche Fälle denn verhindert werden?
Pater von Gemmingen: Ich glaube, um das ganze zu verstehen, muss man beobachten, dass wir Gott sei Dank in diesen Fragen sensibler geworden sind. Früher hat man Priester, die sich sexuell vergangen haben an Jugendlichen, einfach versetzt. Weil man das nicht so tragisch fand und zwar nicht nur in der Kirche sondern in der ganzen Welt. Früher haben eben auch Jesuiten-Vorgesetzte manchmal so gehandelt wie Bischöfe, dass sie einfach die Leute versetzt haben und gehofft haben, dass nichts an die Öffentlichkeit kommt. Man muss bedenken, früher durften die Männer ihre Frauen schlagen, durften Sklaven haben und Kinder schlagen! Wir sind in allen diesen Punkten sensibler geworden, und deswegen weiß man heute, man muss damit anders umgehen.

domradio: Wie wird es denn nun weitergehen?
Pater von Gemmingen: Ich fürchte, dass Missbrauchsfälle in vielen anderen Schulen und Einrichtungen aufkommen werden. Und ich denke, nicht nur in kirchlichen Einrichtungen. In diesem Sinne sind wir wahrscheinlich noch nicht am Ende einer schrecklichen Geschichte. Aber man muss eben auch dazu sagen, wenn wir das aufdecken, und feststellen, dass Leute gestraft oder diszipliniert werden müssen, dann machen wir Fortschritte. So schlimm das ist, wenn man über solche Dinge moralische Fortschritte macht.

Interview: Simone Bredel