Haiti rückt nach Erdbeben ins Bewusstsein Lateinamerikas

Freiheitssymbol und unbekannter Nachbar

Das Erdbeben hat Haiti in das Bewusstsein der Lateinamerikaner gerückt. Zum ersten Mal beschäftigen sich die Menschen von Mexiko bis Argentinien näher mit dem Karibikstaat. An der wahrscheinlich größten Hilfsaktion lateinamerikanischer Länder seit fast 40 Jahren beteiligen sich annähernd alle Länder des Subkontinents.

Autor/in:
Gerhard Dilger
 (DR)

Selbst vom UN-Einsatz in Haiti, den Brasilien verstärkt von Blauhelmen unter anderem aus Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay anführt, hat kaum jemand in Lateinamerika gehört. Seit dem Sturz von Präsident Jean-Bertrand Aristide im Jahr 2004 sollen die Soldaten und Polizisten Haiti stabilisieren und befrieden. Doch in den Medien sind sie selten präsent. Nun beteiligen sie sich an Bergungsarbeiten und anderen Hilfsmaßnahmen.

Um in der Weltpolitik eine stärkere Führungsrolle zu übernehmen, hatte Brasilien die Einsatzleitung übernommen und über 1.200 eigenen Soldaten in Haiti stationiert. Jetzt soll das Engagement ausgeweitet werden, doch nicht nur militärisch. Die Hilfsbereitschaft müsse in Geld umgewandelt werden, erklärte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und rief seine Kollegen zum Spenden auf. Brasilien selbst stellt 20 Millionen US-Dollar für die Erdbebenopfer zur Verfügung.

Den Vorrang der zivilen Hilfe betonen auch die linken Regierungen Kubas und Venezuelas. Die massive Militärpräsenz aus den USA beobachten sie argwöhnisch. Bereits vor dem Erdbeben arbeiteten 400 kubanische Ärzte in Haiti, hinzu kamen ebenso viele einheimische, auf Kuba ausgebildete Mediziner. Die Erfahrung von Armut und Not verbindet die beiden Länder, so dass auch kubanische Kinder in der Schule lernen, dass Haiti der erste unabhängige Staat Lateinamerikas war.

Nun sind 32 weitere kubanische Ärzte sowie haitianische Studenten, die sich auf Kuba zu Medizinern ausbilden lassen, in die Katastrophenregion gereist. Venezuela schickte vier Schiffe mit Lebensmitteln und 120 Katastrophenhelfer. Flugzeuge mit Medikamenten und Lebensmitteln kamen auch aus Argentinien, Bolivien und Brasilien. Weitere Länder kündigten Hilfe an.

"Die Wut der Natur hat uns an die Existenz Haitis erinnert", beschreibt der kubanische Autor Leonardo Padura die Wirkung der Katastrophe. Nun gehe es darum, auch nach dem Ende der Nachrichtenflut "das tragische Schicksal zu ändern, das eine ungerechte Welt jenen Sklaven geboten hat, die für die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit kämpften".

Denn die Vorfahren der Haitianer waren Sklaven, die für ihre Befreiung und Unabhängigkeit 1804 die Zucker- und Kakaoplantagen in Brand setzten, auf denen sie ausgebeutet wurden. Für die Abschaffung der Sklaverei im gleichen Jahr wurde der kleine Karibikstaat von Europa und den USA, aber ebenso von seinen Nachbarn Lateinamerikas bestraft und geächtet, was Haiti zum unsichtbaren Fleck auf der Landkarte machte.