Bischof Ackermann zur Debatte um Afghanistan-Einsatz

"Das Gespräch mit gemäßigten Taliban suchen"

Der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan gerät immer mehr auf den Prüfstand. Auch die Kirchen melden sich vermehrt zu Wort. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Margot Käßmann, protestierte massiv gegen das militärische Engagement. Auch auf katholischer Seite gibt es Skepsis. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich der Vorsitzende der Deutschen Kommission Justitia et Pax, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, zum Thema.

 (DR)

KNA: Herr Bischof Ackermann, die EKD-Ratsvorsitzende hat erklärt, der Einsatz in Afghanistan sei nicht zu rechtfertigen. Wie beurteilen Sie ihn?
Ackermann: Kein vernünftiger Mensch kann militärische Gewalt begrüßen. Doch vor dem Angriff 2001 war das Regime der Taliban ganz offensichtlich eine Gefahr nicht nur für die eigene Bevölkerung, sondern in Form des Terrorismus auch für andere Länder. Man darf auch nicht vergessen, dass die Truppen in Afghanistan im Auftrag der Vereinten Nationen handeln. Die Bundeswehr hat außerdem ein Mandat des Bundestags, also von demokratisch gewählten Volksvertretern.

KNA: Also sind die Kämpfe in Afghanistan ein klassischer «gerechter Krieg»?
Ackermann: Den klassischen «gerechten Krieg» hat es wahrscheinlich nie gegeben. Mit dem Begriff muss man sehr vorsichtig sein, da er dazu tendiert, das unvermeidbare Übel der Gewaltanwendung schön zu deuten. Es gibt in eng begrenzten Fällen ein «Recht zum Krieg». Das sehe ich in diesem Fall schon als gegeben. Aber es gibt auch das «Recht im Krieg». Und hierbei muss man unter anderem alles daransetzen, die Gewaltanwendung so präzise wie irgend möglich auf den militärischen Gegner zu beschränken sowie der weiteren Verselbstständigung der Gewalt zu wehren. Das ist in Afghanistan mehrfach leider nicht gelungen.

Den Begriff «Krieg» vermeidet die Bundesregierung ja noch, weil er bestimmte verfassungs- und völkerrechtliche Implikationen enthält. Immerhin spricht man ehrlicherweise schon von «kriegsähnlichen Zuständen».

KNA: Kritiker halten Käßmanns Forderung nach einem raschen Abzug der Bundeswehr für naiv und werfen ihr Verantwortungslosigkeit gegenüber der Zivilbevölkerung vor.
Ackermann: Frau Käßmann hat eine tiefe friedensethische Überzeugung, das trifft es vielleicht besser. Ich glaube aber auch, dass ein schneller Abzug der Soldaten im Moment keine gute Lösung wäre. Dafür ist die Lage in Afghanistan einfach nicht stabil genug und die Gefahr einer Rückkehr radikaler Kräfte für die Menschen dort noch zu groß.

KNA: Im Moment sieht es aber so aus, dass Deutschland sein militärisches Engagement sogar verstärkt. Stehen zivile Aufbauhilfe und Kampfeinsatz noch im richtigen Verhältnis?
Ackermann: Die Gewaltbereitschaft der Aufständischen wurde am Anfang unterschätzt. Nun steckt Deutschland in dem Dilemma, dass die Hilfeleistung durch wachsenden militärischen Widerstand immer schwieriger wird. Das ist eine komplizierte Situation, die man sehr genau abwägen muss. Niemand will eine kriegerische Eskalation mit Beteiligung deutscher Soldaten. Aber die Gewährleistung des Schutzes der afghanischen Bevölkerung scheint mir eine der Voraussetzungen für die dringend erforderliche Verstärkung der zivilen Aufbauperspektive zu sein. Was wir derzeit benötigen, ist vor allem eine ehrliche Verständigung über die Ziele des Einsatzes. Erst daraus wird sich die Frage nach der Wahl der Mittel sinnvoll beantworten lassen. Dass in dieser Perspektive das zivile Moment zunehmen und das militärische Moment abnehmen muss, liegt auf der Hand. Aber hier sind Augenmaß und gründliche Prüfung der Erfordernisse gefragt.

KNA: Sollte man stärker das Gespräch mit «gemäßigten» Taliban suchen?
Ackermann: Ja, sicherlich. Das einfache Bild von «Islamisten gegen den Westen» halte ich für überstrapaziert. Es gibt in Afghanistan auch eine klare ethnische Konfliktlinie. Der Volksstamm der Paschtunen kämpft um den Machterhalt, ist aber auch kein homogenes Gebilde. Mit einigen kann man sicherlich reden, da muss man nach Chancen suchen.

KNA: Anders als die evangelische Kirche hält sich die katholische mit Forderungen an die Politik zurück. Warum?
Ackermann: Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die katholische Kirche zu wenig engagiert. Wir halten es aber nicht für unsere Aufgabe, den Politikern konkrete Vorschläge oder Handlungsanweisungen zu geben. Statt Lageeinschätzungen zu verbreiten, muss die Kirche darauf achten, dass zentrale friedensethische Kriterien nicht in den Hintergrund geraten. Dazu gehört im Wesentlichen die größtmögliche Eingrenzung von militärischer Gewalt und der Einsatz für einen gerechten Frieden.

Ebenso liegt uns daran dazu beizutragen, dass die ernsten friedenspolitischen Fragen in angemessener Weise zur Sprache kommen. Wenn ich auf die Diskussionen der letzten Monate zurückschaue, will mir scheinen, dass Politik und Gesellschaft noch einiges nachzuholen haben.

Das Interview führte Christoph Schmidt.