Vor 20 Jahren trafen sich Johannes Paul II. und Gorbatschow

Die Divisionen des Papstes

"Wie viele Divisionen hat der Papst?" Mit dieser spöttischen Frage soll Stalin einst seine Geringschätzung für die Nachfolger Petri zum Ausdruck gebracht haben.

Autor/in:
Thomas Jansen
Premiere: Ein russischer Präsident beim Papst (KNA)
Premiere: Ein russischer Präsident beim Papst / ( KNA )

36 Jahre nach dem Tod des sowjetischen Diktators ereignete sich dann das bis dahin Undenkbare: Papst Johannes Paul II. empfängt Michael Gorbatschow im Vatikan. Erstmals reiste am 1. Dezember 1989, vor 20 Jahren, mit dem sozialistischen Reformer und Vater der "Perestroika" ein sowjetischer Machthaber in den Kirchenstaat.

Dort hatte zwar schon 1967 das sowjetische Staatsoberhaupt Nikolai Podgorny Paul VI. in einer Privataudienz die Aufwartung gemacht. Doch anders als Gorbatschow stand Podgorny nur formell an der Spitze der UdSSR; die tatsächliche Herrschaft im Kreml übte seinerzeit der Chef der Kommunistischen Partei, Leonid Breschnew, aus.

Die Begegnung zwischen Johannes Paul II. und Gorbatschow war nach amtlicher Sprachregelung ein «offizieller Besuch», mehr als eine Privataudienz also und weniger als ein Staatsbesuch. Schließlich unterhielten Moskau und der Heilige Stuhl keine diplomatischen Beziehungen. Entsprechend unspektakulär fiel die Begrüßung aus: Hammer, Sichel und Tiara wehten jedenfalls nicht gemeinsam im römischen Wind. Der fehlende protokollarische Pomp tat der historischen Bedeutung der Begegnung jedoch keinen Abbruch.

Sieben Jahrzehnte waren katholische Priester und Gläubige in der Sowjetunion gewaltsam unterdrückt und verfolgt worden. Nun erwies der oberste Repräsentant dieser militant atheistischen Ideologie einem Papst die Reverenz, der nicht müde wurde, den Kommunismus als Ausgeburt des Bösen zu geißeln. Und mehr noch: Gorbatschow schüttelte einem Kirchenoberhaupt die Hand, das offen die polnische Gewerkschaft «Solidarnosc» in ihrem Aufbegehren gegen die Warschauer Führung unterstützte und so nach Ansicht vieler Historiker zu einem der Totengräber des Ostblocks wurde.

Es war kein Zufall, dass es ausgerechnet im Dezember 1989 zwischen Johannes Paul II. und Gorbatschow zu einem Gespräch in der päpstlichen Privatbibliothek kam. Die politische Nachkriegsordnung war aus den Fugen geraten: Der Fall der Berliner Mauer lag gerade drei Wochen zurück. Der sozialistische Ostblock befand sich in Auflösung und die Unabhängigkeitsbestrebungen nationaler Minderheiten in der Sowjetunion machten Gorbatschow schwer zu schaffen.

In dieser angespannten Lage kam es für den Kreml-Chef auch auf die Unterstützung durch die «Divisionen des Papstes» an: die 13,5 Millionen Katholiken in der UdSSR. Der Heilige Stuhl forderte für diese Minderheit seit langem Religionsfreiheit von den Moskauer Machthabern. Erste Fortschritte hatte man nach Gorbatschows Machtübernahme 1985 schon erreicht: Im März und Juli 1989 etwa konnte Johannes Paul II. katholische Bischöfe für die Sowjetrepubliken Litauen und Weißrussland ernennen.

Nach dem 75-minütigen Gespräch - die Erleichterung stand Gastgeber und Gast auf die Stirn geschrieben - kündigte Gorbatschow an, sein Land werde in Kürze ein Gesetz über die Gewissensfreiheit erlassen. Ein Jahr später trat es in Kraft; nach zwölf weiteren Monaten löste sich die Sowjetunion auf. Zwischen Gorbatschow und Johannes Paul II. entwickelten sich in den folgenden Jahren freundschaftliche Kontakte. Der Staatsmann war fortan regelmäßiger Gast im Vatikan.

Bis heute nur zum Teil verwirklicht worden ist ein anderes Vorhaben, das der Kreml-Chef damals erwähnte: Eine Papstreise in die seinerzeitige Sowjetunion. Johannes Paul II. besuchte später zahlreiche der selbstständig gewordenen früheren Teilrepubliken der UdSSR; nach Moskau kam er jedoch nicht.

Am Donnerstag nun empfängt der deutsche Papst den russischen Ministerpräsidenten Dimitrij Medwedjew im Vatikan. Bislang bestehen zwischen Heiligem Stuhl und Kreml nur «Arbeitskontakte». Ob die Zeit, 20 Jahre nach Gorbatschows Besuch im Vatikan, reif für einen päpstlichen Gegenbesuch in Moskau ist, hängt jedoch nicht nur von der russischen Führung, sondern vor allem auch von den ökumenischen Gesprächen mit dem orthodoxen Moskauer Patriarchat ab.