Lale Akgün will Diskussion um Schweizer Volksentscheid versachlichen

"Ein Minarett spielt eigentlich gar keine Rolle für eine Gläubige"

Nach dem Schweizer Votum gegen den Bau von Minaretten haben Politik und Kirchen vor einer Einschränkung der Religionsfreiheit gewarnt. Zugleich wurde am Dienstag für eine Verstärkung des islamisch-christlichen Dialogs geworben. Das findet auch Dr. Lale Akgün wichtiger als den Bau von Minaretten. Die langjährige Integrationsbeauftragte der SPD rät im domradio-Interview zu einer Versachlichung der Debatte.

Sehitlik-Moschee in Berlin: Auch ohne Minarette denkbar? (epd)
Sehitlik-Moschee in Berlin: Auch ohne Minarette denkbar? / ( epd )

domradio: Angenommen Sie würden in der Schweiz leben - wäre das Minarettverbot für Sie ein Problem?
Akgün: Es hat mehr symbolischen Charakter. Ich glaube, für eine Muslima besteht eine Moschee eben als Gotteshaus, aus überhaupt einem Raum. Das ist wichtig. Ein Minarett spielt eigentlich gar keine Rolle für eine Gläubige.

domradio: Das heißt also, sie sagen im Grunde,  ein Gebetsraum, wo man Richtung Mekka beten kann, würde vollkommen reichen?
Akgün: Völlig, das reicht völlig aus. Alles andere hat mehr oder weniger Symbolcharakter.

domradio: Sie fordern mehr Integrationswillen von Muslimen. Warum fehlt es daran Ihrer Meinung nach?
Akgün: Im Moment läuft in der Diskussion einiges sehr durcheinander, und ich finde es ziemlich problematisch, wie es läuft. Zum einen haben wir in der Schweiz einen Volksentscheid, über den man diskutieren kann, weil ein Verbot von Minaretten doch einen Symbolcharakter hat. In dem Sinne, dass man eine bestimmte Glaubensrichtung ausschließen könnte oder diese sich so ausgeschlossen fühlen könnte. Aber diese Entscheidung, denke ich, wird im Moment viel zu hoch gespielt, und es sollte jetzt nicht in den muslimischen Ländern sofort zu irgendeiner Reaktion kommen. Das finde ich unangemessen.

Zum anderen haben wir  natürlich die Situation in der Schweiz und auch bei uns, dass mit dem Islam immer bestimmte Bilder verbunden werden: wie z.B. Ehrenmord, das Beschneiden von Frauen, die Unterdrückung. Natürlich hat das nichts mit einem Minarett zu tun. Man vermischt Dinge miteinander. Wir müssen diese pathologischen Phänomene, die ich eben aufgezählt habe, stark bekämpfen. Wir müssen von den Muslimen verlangen, dass sie diese Integrationsleistung vollbringen. Gleichzeitig müssen wir aber auch Religionsfreiheit gewähren.

domradio: Um noch mal kurz auf den Unterschied von Moschee und Minarett zu kommen. Wenn bei diesem Volksentscheid, bei diesem Referendum in der Schweiz, man nicht um Minarette sondern ganz allgemein um den Bau von Moscheen abgestimmt hätte; wäre das ihrer Meinung nach anders ausgegangen??
Akgün: Das hat natürlich eine ganz andere Konsequenz. Sie hätten im Prinzip Gotteshäuser einer ganzen Religion verboten. Dann hätte ein Aufschrei wirklich Sinn gehabt. Wobei, und das ist letztendlich meine Sorge, dass bei Volksentscheidungen Populisten immer die Chance haben, mitzumischen, und man dann Ergebnisse hat wie jetzt in der Schweiz. Oder schlimmstenfalls, dass man sogar gegen Moscheebauten bestimmte Ergebnisse erzielen könnte, weil die Leute ja auch zum Teil Angst haben vor dem, was sie befremdet.

domradio: In Deutschland gibt es ja keine Volksentscheide. Wenn es sie gäbe, was meinen Sie, hätte Deutschland dann so abgestimmt wie die Schweiz jetzt?
Akgün: Das ist schwer, im Voraus zu sagen. Ich glaube, dass wir auch unterschiedliche Ergebnisse gehabt hätten. Also wir können auch in der Schweiz sehen, dort, wo die wenigsten Muslime leben, war die Stimmung gegen den Islam am negativsten. Wir haben die Stimmung ja auch hier in Deutschland. Dort, wo Muslime leben, geht man eigentlich mit der Sache gelassener um, als in den Gegenden, wo kaum Muslime da sind. Dort haben Populisten natürlich mehr Chancen, etwas auszurichten, weil die Leute einfach keine Muslime kennen.

domradio: Das heißt, es wäre in bestimmten Teilen von Deutschland wahrscheinlich auch so ausgegangen, dass man gesagt hätte, Minarette sollen hier nicht gebaut werden. Ist das etwas, was sie bedenklich stimmt?
Akgün: Das stimmt mich natürlich bedenklich, weil ich glaube, wir müssen in der Gesellschaft lernen, miteinander auszukommen. Dabei geht es ja nicht nur um die Muslime, sondern wir haben ja in der Gesellschaft auch Buddhisten, wir haben Hindus, wir haben Atheisten. Wir haben also alle möglichen Religionsströmungen, und ich glaube, wir müssen einfach sehen, dass in dem Rahmen eines demokratischen Staates sich alle, und ich unterschreiche hier das Wort alle, an die Regeln des Rechtsstaates halten.Und wir uns eben respektieren. Deswegen sind solche Entscheide ziemlich problematisch, weil schon wieder eine Gruppe sich ausgeschlossen fühlen könnte.

Auf der anderen Seite muss ich dagegen sagen, was Moscheebauten angeht, dass Ankommen in einer Gesellschaft auch bedeutet, dass auch die Gotteshäuser sich der Architektur des neuen Landes anpassen. Also wenn sie zum Beispiel  Bosnien ansehen, dann sehen sie, das bosnische Moscheen ganz anders aussehen als türkische Moscheen oder arabische Moscheen. Ich bin der Meinung, dass deutsche Moscheen wieder anders aussehen müssten, und man eben nicht mehr die importierten Modelle hier baut, sondern wirklich sagt, welche Moschee passt ins Rheinland, welche nach Bayern oder welche Moschee passt nach Norddeutschland. Also das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen dafür sorgen, dass der Islam auch architektonisch ankommt.