Neues Führungsduo für die Europäische Union

Jesuitenschüler wird Ratspräsident

Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich auf ein neues Führungsduo geeinigt. Der belgische Ministerpräsident van Rompuy wird der erste hauptamtliche EU-Ratspräsident. Daneben soll es erstmals eine EU-Außenministerin geben - die britische Handelskommissarin Ashton. Mit dieser Entscheidung kann der EU-Reformvertrag von Lissabon wie geplant am 1. Dezember in Kraft treten.

Autor/in:
Christoph Lennert
 (DR)

Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs unter ihrem neuen Präsidenten Herman Van Rompuy erstmals zu einem Gipfel in Brüssel zusammenkommen, wird er sie womöglich mit einem Haiku begrüßen. Der bisherige belgische Ministerpräsident, den die EU-Spitzen am Donnerstagabend beim Sondergipfel als künftigen Präsidenten des Europäischen Rates präsentierten, gilt als scharfsinniger Intellektueller, der Werten und Ethik große Bedeutung beimisst.

Und regelmäßig schreibt er eben auch Haikus, jene streng gegliederten japanischen Kurzgedichte. «Drei Wellen rollen gemeinsam in den Hafen, das Trio ist zuhause», dichtete er etwa kürzlich - freilich in seiner flämischen Muttersprache - in einer Rede, in der er das gemeinsame Logo der spanischen, belgischen und ungarischen EU-Präsidentschaften vorstellte.

In seinem persönlichen Blog stellt Van Rompuy nicht nur eigene Haikus vor - manchmal eines pro Tag -, sondern präsentiert auch sein Lieblingsgedicht der Woche oder verrät, welche Lektüre er in den Mußestunden pflegt. Der 62-Jährige mit dem silbernen Haarkranz und den schmalen Lippen wirkt auf den ersten Blick eher wie ein Weiser, womöglich ein Ordensmann oder ein vielleicht etwas zerstreuter Professor.

Ein mit allen Wassern gewaschener Politiker
In Wirklichkeit ist der flämische Christdemokrat wohl von all dem ein bisschen - aber auch ein mit allen Wassern gewaschener Politiker. Wie das im Vertrag von Lissabon neu geschaffene Amt des Präsidenten des Europäischen Rates ausgestaltet wird, hängt stark an der Persönlichkeit des ersten Amtsinhabers. Van Rompuy könnte da für Überraschungen sorgen.

In Belgien hat er sich zuletzt als Geheimwaffe bewährt. Der Jesuitenschüler, Autor von Büchern mit Titeln wie «Das Christentum. Eine moderne Idee» oder «Erneuerung in Kopf und Herz. Eine widerborstige Vision», ist kein Anhänger bloßer Theorie. «Ruhige Beharrlichkeit» ist das Leitmotiv, unter das er seine Amtsführung als Ministerpräsident Belgiens stellte - ein Amt, das er nicht anstrebte, sondern das ihm in dringenden Bitten angetragen wurde.

Im Auftrag von König Albert II.
Van Rompuy, der verheiratet und Vater von vier Kindern ist, hatte Philosophie und Betriebswirtschaft studiert. Er arbeitete in der belgischen Nationalbank und dann im Stab des damaligen belgischen Ministerpräsidenten Leo Tindemans, lehrte dann an Hochschulen des Landes. Von 1988 an war er Parteivorsitzender der flämischen Christdemokraten, bis er 1993 zum Haushaltsminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten aufstieg. Das Amt behielt er, bis seine Partei 1999 nach einer Wahlniederlage in die Opposition gehen musste.

Seine große Stunde schlug nach 2007, als Belgien nach den Wahlen in eine Staatskrise rutschte. Die immer wieder gescheiterten Versuche einer Regierungsbildung führten dazu, dass er im Auftrag von König Albert II. zunächst zum «explorateur» bestellt wurde, der eine Mehrheit suchen sollte. Als die Regierung von Ministerpräsident Yves Leterme schon bald nach Amtsantritt scheiterte, wurde Van Rompuy, zu jenem Zeitpunkt Präsident der Abgeordnetenkammer, selbst neuer Regierungschefs. Und blieb es bis heute.

Er wird in Belgien fehlen
Aus belgischer Sicht gibt es deshalb nicht nur Stolz darauf, dass ein Landsmann das hohe Amt übernehmen soll. Viele Zeitungskommentatoren fürchten den Streit, den es in Brüssel über seine Nachfolge geben wird. Van Rompuy, der gerne als Minenräumer beschrieben wird, hatte den Staat nach den heftigen Debatten im Streit zwischen den beiden Landesteilen in ein ruhigeres Fahrwasser geführt. Ihm wurden als einzigem Chancen eingeräumt, auch das seit Jahren brodelnde Problem eines gemischtsprachigen Wahlkreises noch vor den nächsten Wahlen zu einer Kompromisslösung zu bringen.

Die EU dagegen könnte mit Van Rompuy gewinnen. Zwar wird ihm nicht gelingen, die Redebeiträge der Staats- und Regierungschefs bei den Gipfeltreffen auf die 17 Silben eines Haiku zu beschränken. Zuzutrauen ist ihm aber, dass er eine eigene Form für das neue Amt entwickelt und weder bloßer Sekretär für die Chefs in den Hauptstädten, noch Obereuropäer mit Führungsanspruch wird.