Auch Gemeinden in Berlin lebten geteilt

Kirche im Schatten der Mauer

Sichtbar ist die Berliner Mauer nur noch an wenigen Stellen, vielerorts ist sie aber weiterhin spürbar - auch 20 Jahre nach ihrem Fall. Das gilt auch für die Kirchen. Gemeinden waren 1961 durch die Grenze geteilt worden, Beziehungen gekappt. Pfarreien verloren von heute auf morgen Seelsorger oder Gotteshaus.

Autor/in:
Birgit Wilke
 (DR)

Sie mussten sich nach provisorischen Zwischenlösungen neu formieren. Auch wenn die Kontakte zum "anderen Teil" in den meisten Fällen nie ganz abbrachen: Viele der geteilten Gemeinden entwickelten eine eigene Identität.

So war es auch in der katholischen Michaelsgemeinde, die sich in den damaligen Berliner Bezirken Kreuzberg und Mitte befand. Nach dem Mauerfall fanden ihre wiedervereinten Mitglieder trotzdem nicht zusammen. Zu unterschiedlich hatte sich ihr Leben in den knapp 30 Jahren der Trennung entwickelt.

Im Westen ohne Pfarrer und Kirche
Auf der Westseite in Kreuzberg war der größere Teil der Mitglieder verblieben - allerdings zunächst ohne Pfarrer und Kirche. Als in den 1960er und 1970er Jahren immer mehr Alteingesessene aus dem Bezirk wegzogen und Studenten oder Migranten kamen und in den 1980er Jahren die ersten "Wagenburgen" von linksalternativen Aussteigern entstanden, blieb dies nicht ohne Einfluss auf das Selbstverständnis der Restgemeinde. Sie versuchte, sich auf die neuen Nachbarn einzustellen, egal, ob Punker, Hausbesetzer oder Stadtstreicher.

Eine Heimat fanden die Kreuzberger Katholiken in einem neu errichteten Gebäudekomplex, der Mitte der 60er Jahre nur wenige hundert Meter von ihrem alten Gotteshaus entfernt errichtet wurde. Die nach Plänen des Architekten Rudolf Schwarz entstandene Betonkirche sollte nach einer Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands als Gemeindezentrum genutzt werden, so die Überlegungen damals.

Andere Probleme im Osten
In dem in Ost-Berlin verbliebenen, kleineren Gemeindeteil hatten die Gläubigen unterdessen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen: Ihre im 19. Jahrhundert gebaute Kirche war teilweise kriegszerstört, in die neuen Plattenbauten ihres Umfeldes zogen, wie in Mauer-Nähe üblich, vor allem staatstreue DDR-Bürger. Hier überlebte die Gemeinde als kleine Insel mit einem mehr provisorisch hergerichteten Gotteshaus und nur geduldet vom SED-Staat.

Als im November vor 20 Jahren die Mauer fiel, prallten beide Welten aufeinander. Die Wiedervereinigung der geteilten Pfarrei gelang nicht, obwohl auch die Bistumsleitung sie anstrebte. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen vom Gemeindeleben geworden. So scheiterte der anfangs gemeinsame Unterricht zur Vorbereitung auf die Erstkommunion, erinnert sich der damalige Pastoralreferent Hans-Joachim Ditz. "Wir hätten eine gute Moderation gebraucht", meint er heute.

Schlagartig über Berlin hinaus bekannt
Die Gemeindefusionen im Erzbistum Berlin schufen vor einigen Jahren schließlich Fakten: Die "Ostmichaeliten" feiern zwar noch Gottesdienste in ihrer Kirche, gehören aber kirchenrechtlich zur Domgemeinde Sankt Hedwig. Als Jugendkirche SaM (für Sankt Michael) bietet das Gotteshaus der "Westmichaeliten" vor allem Angebote für diese Altersgruppe, der westliche Teil der Michaelsgemeinde ging in der Kreuzberger Pfarrei Sankt Marien auf, berichtet Olaf Polossek, der dort seit rund neun Jahren Pfarrer ist.

Ein ganz anderes Schicksal hat die evangelische Versöhnungsgemeinde hinter sich. 1985 wurde sie schlagartig über Berlin hinaus bekannt:
Damals ließ das SED-Regime ihre Kirche sprengen, die im sogenannten Todesstreifen der Mauer stand. Für die geschockte Westgemeinde im Bezirk Wedding war damit ein Zustand unwiderruflich, den sie vorher als Provisorium wahrgenommen hatte, berichtet Pfarrer Manfred Fischer. Nach der Wende beschloss die Gemeinde, im ehemaligen Grenzstreifen ein Zeichen zu setzen: Sie kämpfte dafür, dass ein Stück der alten Mauer erhalten blieb, und setzte sich für eine Dokumentationsstätte ein. Auf den Fundamenten der alten Versöhnungskirche entstand ein neues Gotteshaus, die "Kapelle der Versöhnung". Seit ihrer Einweihung im Herbst 2000 ist sie ein besonderes Zeugnis der deutsch-deutschen Geschichte.