Der Menschenrechtsgerichtshof urteilt gegen Kreuze in Klassenzimmern

"Eindeutig ein religiöses Symbol"

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat gegen Kruzifixe in italienischen Klassenzimmern entschieden. Die Richter gaben am Dienstag in Straßburg einer Klägerin Recht, die sich in Italien vergeblich gegen die Kreuze an öffentlichen Schulen gewandt hatte. Der Vatikan reagierte zurückhaltend auf das Urteil, Politiker kritisieren es.

 (DR)

Man müsse die Urteilsbegründung studieren und einen "Moment der Reflexion" einlegen, bevor man die Entscheidung kommentiere, sagte Vatikansprecher Federico Lombardi am Dienstag vor Journalisten. Der Präsident des Päpstlichen Rates für Migrantenseelsorge, Erzbischof Antonio Maria Veglio, lehnte ebenfalls eine Stellungnahme zu dem Urteil ab. "Ich möchte nicht über die Frage des Kruzifixes sprechen, weil das Dinge sind, die mich sehr ärgern", sagte Veglio auf Nachfragen von Medienvertretern bei einer Vatikan-Pressekonferenz.

Veglio nannte es ein Glück, in einer multikulturellen Welt zu leben.  Das Zusammenleben verschiedener Religionen sei ein Reichtum. Zugleich sei es aber auch notwendig, die eigene Identität und die Kultur eines Landes zu bewahren.

Überwiegend Kritik an Kruzifix-Urteil in Italien
Italienische Politiker reagieren auf das Urteil überwiegend kritisch. Bildungsministerin Mariastella Gelmini nannte das Kreuz einen festen Bestandteil der italienischen Kultur. "Seine Präsenz in den Schulen zu verteidigen, heißt, unsere Tradition zu verteidigen", sagte die Politikerin des Mitte-Rechts-Regierungsbündnisses am Dienstag italienischen Medien. Zugleich verwies sie auf die Sonderstellung, die die italienische Verfassung dem Katholizismus einräume.

Gleichstellungsministerin Mara Carfagna forderte die Regierung zum Widerspruch gegen das Straßburger Urteil auf. Das Prinzip der Gleichberechtigung auch unter Religionen dürfe nicht dazu führen, die eigenen Wurzeln und die eigene Identität zu verneinen. Die "wahren Beschränkungen der individuellen Freiheit" lägen hingegen im islamischen Gesichtsschleier, sagte die Ministerin. "Ich erwarte, dass sich der Europäische Menschenrechtsgerichtshof dazu ebenso klar und deutlich erklärt", so Carfagna.

Außenminister Franco Frattini kommentierte den Richterspruch als "schlechtestmöglichen Präzendenzfall für andere Religionen". Gerade in einem Augenblick, da die italienische Regierung um ein gutes Auskommen der verschiedenen Glaubensrichtungen bemüht sei, erhalte das Christentum einen "Hieb". Frattini hatte in den vergangenen Tagen die arabischen Emirate besucht und hält sich derzeit in Tunesien auf.

Abweisung der Klage in Italien
Der Staatsrat, das oberste italienische Verwaltungsgericht, hatte 2006 entschieden, das Kreuz sei zu einem Symbol für die Werte Italiens geworden. Dort wurde die Klage der Italienerin abgewiesen. Der Menschenrechtsgerichtshof entschied dagegen einstimmig für die Klägerin, die Mutter zweier schulpflichtiger Kinder ist. Die Richter erklärten, die Kruzifixe seien eindeutig ein religiöses Symbol. Dies könne für Kinder, die anderen oder keiner Religion angehörten, verstörend wirken. Das Recht, an keine Religion zu glauben, gehöre zur Religionsfreiheit. Der Staat müsse dieses Recht besonders schützen.

Besonders in Bildung und Erziehung müsse der Staat auf die konfessionelle Neutralität achten, erläuterten die Richter. Ein Kruzifix als Zeichen für den Katholizismus, die italienische Mehrheitsreligion, könne nicht dem Pluralismus in der Erziehung dienen. Damit werde das Recht der Eltern eingeschränkt, ihre Kinder gemäß ihren Überzeugungen zu erziehen. Auch das Recht der Kinder, zu glauben oder nicht zu glauben, werde dadurch verletzt.

Italien hatte dagegen darauf hingewiesen, die katholische Religion sei die einzige, die in der Verfassung genannt werde. Dadurch sei das Kreuz ein Symbol auch des italienischen Staates. Die Kruzifixe in den Schulen seien nach Erlassen von 1924 und 1928 aufgehängt worden.