Gesundheitsökonom verteidigt Gesundheitsfonds

"Stabilität für die Wirtschaft"

Pünktlich zum Auftakt der Verhandlungen zwischen Union und FDP platzte am Dienstag diese Meldung: Die Wirtschaftskrise reißt ein milliardenschweres Finanzloch in den Gesundheitsfonds. Steht das System zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung schon wieder vor dem Aus? Der Gesundheitsökonom Prof. Stefan Greß rät davon im domradio-Interview ab.

 (DR)

domradio: Wie konnte es zu den Löchern kommen? Gerade der Gesundheitsfonds sollte sie doch verhindern...
Greß: Das Defizit kommt dadurch zustande, dass die Einnahmen als Folge der Wirtschaftskrise zurückgegangen sind, beispielsweise durch Jobs, die wegfallen, durch Kurzarbeit, den Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.

domradio: Drohen Zusatzbeiträge oder eine Erhöhung des Beitragssatzes?
Greß: Momentan wird das bereits entstandene Defizit aus Mitteln des Bundes zwischenfinanziert. Das ist erstmal ein Vorteil des Gesundheitsfonds, weil dadurch innerhalb der Wirtschaftskrise zusätzliche Belastungen für Arbeitgeber und -nehmer vermieden werden. Allerdings gilt dieses sogenannte Liquiditätsdarlehen nur bis Ende 2010, dann müssen die Kassen - nach derzeitiger Gesetzeslage - dieses Darlehen zurückzahlen und es würden Zusatzbeiträge entstehen.

domradio: Die Krankenkassen kritisieren, dass die Ausgaben für Krankenhäuser, Ärzte und Pharmaindustrie stetig steigen - lässt sich die Entwicklung nicht stoppen?
Greß: Ähnlich wie in anderen Ländern besteht auch in Deutschland das Problem, dass die Ausgaben ständig steigen. Wobei wir da in der Vergangenheit - auch im Vergleich mit dem Ausland - eigentlich recht gut abschneiden. Das Problem, das entsteht, ist überwiegen auf der Einnahmenseite zu suchen. Dennoch muss geschaut werden, wie auf der Ausgabenseite - ohne Nachteile für die Versicherten und Patienten - noch Potential ist. Insbesondere bei den Arzneimittelausgaben könnte die Regierung sicherlich noch etwas tun. Aber das große Problem auf der Einnahmenseite wird dadurch sicherlich nicht gelöst.

domradio: Was könnte die neue Regierung tun?
Greß: Im Grundsatz gibt es drei Möglichkeiten: den einkommensabhängigen Beitragssatz erhöhen, das wäre für die Arbeitgeber nicht sehr vorteilhaft; den Zusatzbeitrag erhöhen oder überhaupt erstmal einführen, da würde in erster Linie die Versicherten und den Konsum belasten; den Steuerzuschuss erhöhen, zumindest einen Teil des Liquiditätsdarlehens in einen nicht rückzahlbaren Zuschuss umwandeln, das hätte den Nachteil, dass nachfolgende Generationen die Zinsen und Tilgung übernehmen müssen.

domradio: Geht es nach der FDP, gibt es bald keinen Gesundheitsfonds mehr. Die Union sagt, dass auch ohne ihn die Kosten explodiert wären.
Greß: Ich stimme da eher der Position der Union zu. Wir müssen uns nur vorstellen, was ohne den Fonds passiert wäre. Die Einnahmen wären weggebrochen durch weniger Beschäftigung und dann hätten die Kassen schon viel früher ihre Beiträge erhöhen müssen, um etwa 0,7 Beitragspunkte. Insofern trägt der Fonds dazu bei, in einer gesamtwirtschaftlich schwierigen Lage die Gesamtwirtschaft zu stabilisieren.

Hintergrund
Nach Berechnungen des Schätzerkreises für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) fehlen den Kassen 2010 rund 7,45 Milliarden Euro. Das teilte der GKV-Spitzenverband am Dienstagabend nach einem zweitägigen Treffen des Expertengremiums in Bonn mit. Die gesetzlichen Kassen mahnten, allein über Einsparungen sei das Minus nicht auszugleichen. Die FDP forderte erneut eine "vorbehaltlose" Diskussion über den Fonds in den Koalitionsverhandlungen mit der Union. Grüne und Linke befürchten, dass die kommende schwarz-gelbe Koalition unbegrenzte Zusatzbeiträge erlauben wird, um die Milliardenlücke zu füllen.

Der Schätzerkreis setzt sich zusammen aus Fachleuten des Gesundheitsministeriums, des Bundesversicherungsamts (BVA) und des GKV-Spitzenverbandes - des Dachverbands der gesetzlichen Krankenkassen. Zuletzt hatten die Experten für das laufende Jahr einen Fehlbetrag von rund 2,9 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds vorausgesagt. Nach der jüngsten Schätzung ist es immerhin noch ein Minus von 2,3 Milliarden Euro.

Der Gesundheitsfonds existiert seit Jahresbeginn. Seitdem zahlen alle gesetzlich Versicherten einen einheitlichen Kassenbeitragssatz. Dieser liegt derzeit bei 14,9 Prozent. Das Geld fließt zusammen mit einem Steuerzuschuss in den Fonds und wird von dort aus an die Kassen verteilt. Kommt ein Versicherer mit dem ihm zugewiesenen Geld aus dem Fonds nicht aus, kann er von seinen Mitgliedern einen Zusatzbeitrag erheben. Dieser darf ein Prozent des monatlichen Einkommens jedoch nicht überschreiten. "Die Wirtschaft wird stabilisiert" Gesundheitsökonom Greß verteidigt Gesundheitsfonds.