Neue Forderungen nach dem S-Bahn-Mord - Erzbischof Schick gegen härtere Strafen

"Es ist wirklich ein Drama"

Nach der tödlichen Attacke zweier Jugendlicher auf einen Geschäftsmann in München gibt es eine neue Debatte um die Eindämmung von Jugendgewalt. SPD und Oppositionsparteien kritisierten die Forderungen von Unionspolitikern nach Strafverschärfungen. Auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat sich gegen härtere Strafen gewandt. Der Direktor des Caritasverbandes der Erzdiözese München, Prälat Hans Lindenberger, spricht im domradio-Interview von einem Drama für München.

Zivilcourage mit tödlichen Folgen: Trauer um Dominik Brunner (epd)
Zivilcourage mit tödlichen Folgen: Trauer um Dominik Brunner / ( epd )

In der Region München gab es bereits mehrere gewalttätige Übergriffe in S- und U-Bahnen. Vor zwei Jahren hatten zwei Jugendliche einen Rentner in einem U-Bahnhof attackiert und lebensgefährlich verletzt. Prälat Lindenberger vermutet, dass sich die jugendlichen Täter "auf der Verliererseite in unserer Gesellschaft" fühlten und nicht gelernt hätten, mit Frustrationen umzugehen. Solche Übergriffe könne es aber auch in allen anderen Großstädten geben.

Lindenberger bezweifelt, dass mehr Überwachung solche Vorfälle verhindern könnten. Der öffentliche Raum in München sei schon sehr kontrolliert mit Überwachungskameras und Polizeistreifen. Das eigentliche Problem sei, dass Jugendliche an den Rand der Gesellschaft gedrängt würden. Wichtiger als eine Verschärfung des Strafrechts sei die Sucht- und Gewaltprävention. Die Gesellschaft müsse lernen, ihre Kinder pädagogisch so zu begleiten, dass sie nicht in die Sucht geraten und lernen, mit Frustrationen umzugehen, ohne Gewalt anzuwenden.

Erzbischof Schick gegen schärfere Strafen
Auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick hat sich gegen härtere Strafen gewandt. «Um solche Verbrechen zu verhindern, ist nicht die Verschärfung des Strafrechts wichtig, sondern die Bildung des Gemüts, des Herzens und der Seele», erklärte Schick am Montag in Nürnberg. Der Erzbischof forderte mehr gut ausgebildete Lehrer, kleinere Schulklassen und eine Verstärkung der Polizei. Schick äußerte sich bei der Einweihung des umgebauten früheren Seminars Sankt Paul. Das für 8,5 Millionen Euro aus Diözesanvermögen renovierte und erweiterte Gebäude beherbergt künftig ein Zentrum für Bildung, Erziehung, Sport und Gesundheit

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte am Montag in Berlin, der Ruf nach Gesetzesverschärfungen sei ein «Ausdruck von Hilflosigkeit».
Nur Polizeipräsenz und die Gewissheit, dass Strafen auf dem Fuße folgen, könnten Gewalttäter abschrecken.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, warf der CSU wegen Forderungen nach mehr Videoüberwachung und einem härteren Jugendstrafrecht eine «besondere Art der Verantwortungslosigkeit» vor. Die Politiker sollten lieber erst einmal den Mund halten und die Polizeiermittlungen abwarten, sagte Wiefelspütz der «Rheinischen Post» (Dienstagsausgabe).
CSU will Höchststrafe heraufsetzen
Bereits am Sonntag hatte die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) verlangt, die Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre Haft zu erhöhen und bei Tätern ab 18 Jahren grundsätzlich Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach unterstrich in der «Neuen Osnabrücker Zeitung» (Montagsausgabe) die Forderungen der Union nach Änderungen im Jugendstrafrecht. «Wir werden das nach der Bundestagswahl mit Hochdruck weiterverfolgen», sagte der Unionsfraktionsvize.

Der innenpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, forderte, das Erwachsenenstrafrecht müsse bei volljährigen Tätern unter 21 Jahren «zum absoluten Regelfall» werden. Es brauche außerdem spürbare Sanktionen im Jugendstrafrecht wie etwa Fahrverbote.

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, verlangte eine wesentlich stärkere Personalpräsenz in Zügen und Bahnstationen. Ein höheres Strafmaß hingegen würde die oft spontan handelnden und alkoholisierten Täter nicht abschrecken. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, sagte, das Jugendstrafrecht sei nicht zu sanft und lasch, wie CSU-Politiker unterstellten. Es könne hart sein, aber auch einzelfallsbezogen und damit effektiver auf Täter eingehen, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung noch nicht ausgereift seien.

Der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik sprach sich indes für eine stärkere Kontrolle von öffentlichen Verkehrsmitteln aus. Sogenannte «Schwarze Sheriffs» und mehr Überwachungskameras erhöhten das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste und verhinderten womöglich, dass sich eine Tat wie der tödliche Angriff auf dem Münchner S-Bahnhof Solln wiederhole, sagte Brumlik dem epd.
Wichtig in einem solchen Fall sei auch, dass mehrere Personen Zivilcourage zeigten.
Tat im Affekt
Auch Brumlik wandte sich gegen höhere Jugendstrafen, da sie kaum abschreckten. Solche Taten wie in München würden oft im Affekt und unter Drogeneinfluss begangen. Im Übrigen lehre die Erfahrung, dass jugendliche Straftäter erst im Knast «so richtig kriminell sozialisiert» würden.

Der hannoversche Kriminologe Christian Pfeiffer nannte härtere Strafen ungeeignet, um solche Taten zu verhindern. Die beiden Angreifer hätten nicht die Strafen im Blick gehabt, sagte Pfeiffer im ZDF-«Morgenmagazin». Wichtiger sei es, das «Risiko erwischt zu werden» zu erhöhen. Zudem forderte Pfeiffer, ehemals Justizminister für die SPD in Niedersachsen, verstärkte Anstrengungen im Bildungs- und Sozialwesen.

Der 50-jährige Mann war am Samstag an einem S-Bahnhof zu Tode geprügelt worden, nachdem er Kinder vor Bedrohungen der Jugendlichen hatte schützen wollen.