Münchner S-Bahn-Täter: Debatte über Zivilcourage

Ein verheerendes Signal

"Zivilcourage mit Todesfolge", titelte die Süddeutsche Zeitung. Seit der 50-jährige Dominik Brunner am Samstag von zwei jungen Gewalttätern in der Münchner S-Bahn brutal getötet wurde, debattiert Deutschland über Zivilcourage und die diesmal tragischen Folgen. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick äußerte die Hoffnung, dass es auch in Zukunft mutige und vorbildliche Erwachsene gebe, die sich "von den jüngsten tragischen Ereignissen nicht in die Ecke drängen" lassen.

Autor/in:
Christoph Arens
Zivilcourage mit tödlichen Folgen: Trauer um Dominik Brunner (epd)
Zivilcourage mit tödlichen Folgen: Trauer um Dominik Brunner / ( epd )

Der Manager hatte sich schützend vor Kinder gestellt und erlitt deshalb 22 Verletzungen - die Täter gingen mit äußerster Brutalität ans Werk. Polizei und Politik loben sein vorbildliches Verhalten: "Besser hätte man es nicht machen können", lobt die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU). Dennoch ist der Tod des Geschäftsmannes ein verheerendes Signal: "Wir leben leider in einer Gesellschaft, die immer weniger Zivilcourage zeigt", sagte der Bochumer Kriminologe Thomas Feltes der in Essen erscheinenden "WAZ". Ein solches Ereignis schrecke auch die wenigen ab, die sich überhaupt noch trauen, in Gewaltsituationen zu intervenieren.

Wer spielt schon gerne den Helden?

Der Münchner Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer sprach von einem "Riesen-Dilemma" und rief die Bürger dazu auf, trotzdem einzugreifen, wenn Übergriffe auf Schwächere bemerkt werden. "Eine Gesellschaft ist nur dann human, wenn sie von möglichst vielen Mitgliedern getragen wird", sagte er am Dienstag der "Offenbach Post". Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, mahnte: "Wir dürfen jetzt nicht zurückschrecken, wenn wir Übergriffe auf Schwächere bemerken." 

Doch wer spielt schon gern den Helden? Eine Suchanfrage im Internet verrät, wie viele Bundesländer, Kommunen, Verbände und Organisationen Preise für Zivilcourage verleihen. Das Spektrum reicht vom Land Nordrhein-Westfalen über die Landesstelle für katholische Jugendarbeit in Bayern bis hin zu Toto-Lotto Niedersachsen. Das Außergewöhnliche wird geehrt. Denn Zivilcourage gilt zumindest nicht gerade als typisch deutsche Tugend.

Das sah schon Otto von Bismarck (1815 bis 1898), preußischer Ministerpräsident und späterer Reichskanzler, so. Er soll den Begriff Zivilcourage in die deutsche Sprache eingeführt haben, und zwar mit den Worten: "Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt."

Kurse zur Zivilcourage?

Der frühere Berliner Justizsenator Rupert Scholz (CDU) forderte deshalb am Dienstag ein schärferes Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Gaffer. Am Bahnhof waren rund 15 Menschen, als die zwei Jugendlichen den Mann zu Tode prügelten. "Wer bei gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten ist, kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden", sagte er der "Bild"-Zeitung. Das Ausmaß von unterlassener Hilfeleistung nehme "unerträgliche" Formen an.

Doch wie hilft man am besten: Der Wiener Konfliktforscher Gerhard Schwarz kritisierte in der «Welt», dass von den Bürgern etwas eingefordert werde, was diese nie gelernt hätten. Seine Idee: "Es gibt in den meisten Schulen die Pflicht, an einem Erste-Hilfe-Kurs teilzunehmen. Warum nicht auch an einem Kurs zur Zivilcourage?"

Der Psychologe Herbert Scheithauer von der FU Berlin mahnte im Berliner «Tagesspiegel» zu Augenmaß. Wichtig sei, dass der Einschreitende - so laut, dass die Täter es deutlich bemerken - zu anderen Personen im Umfeld Kontakt aufnimmt und Sätze sagt wie: "Ich bitte Sie, mir zu helfen, wir müssen hier etwas unternehmen." Wichtig sei außerdem, dass eine oder mehrere Personen sofort die Polizei rufen. Schon dieses Verhalten könne den Gewaltvorgang psychologisch unterbrechen. "Auf keinen Fall sollte der Einschreitende als Einzelperson die alleinige Initiative übernehmen", rät Scheithauer. "Er begibt sich damit in größere Gefahr, als wenn die Täter das diffuse Gefühl haben, da braut sich etwas zusammen."

Zum Gedenken an den Geschäftsmann laden die beiden großen Kirchen zu einer ökumenischen Feier am Mittwochabend an der S-Bahnstation München-Solln ein. Ziel der Andacht sei es, in der "allgemeinen Fassungslosigkeit wieder eine Sprache zu finden", sagte der evangelische Pfarrer Christian Wendebourg.