Afghanistan-Experte zur Lage nach der Wahl

"Gewinner sind die Taliban"

73 Anschläge, elf Tote, eine wohl niedrige Beteiligung - die Bilanz nach der Präsidentenwahl in Afghanistan fällt ernüchternd aus. "Der geheime Gewinner der Wahlen sind die Taliban", meint Dr. Conrad Schetter vom Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung. Im domradio-Interview spricht er über verfehlte UN-Politik. "Etwas muss passieren, sonst erleben wir ein zweites Vietnam."

 (DR)

domradio: Vor fünf Jahren gab es nach den Präsidentenwahlen in Afghanistan Euphorie - diesmal gar nicht. Die Wahlbeteiligung war niedrig. Was bedeutet das?
Schetter: Es ist den Taliban gelungen, über Androhungen und Einschüchterungsversuche die Stimmung so weit zu kippen, dass viele Menschen sich wirklich zur Wahlurne nicht getraut haben. Zum anderen muss man aber auch sagen, dass bei sehr vielen Afghanen eine große Frustration über die Kandidaten vorherrscht, da keiner von denen als eine wirkliche Alternative gesehen wird.

domradio: Sind die Taliban jetzt so etwas wie die geheimen Gewinner der Wahlen?
Schetter: Das würde ich sagen. Die Taliban, die gar nicht zur Wahl antraten, aber alleine die politische Diskussion, die Stimmung im Land beherrscht haben, haben es geschafft, dass es letztendlich die Wahl ist, die zeigt, dass ein politischer Fortgang in Afghanistan ohne ihre Einbeziehung gar nicht mehr denkbar ist.

domradio: Wenn der amtierende Präsident Karsai nun gewinnt - was ändert das im Land?
Schetter: Das ändert erstmal vergleichsweise wenig. Und das ist genau das, was die Internationale Gemeinschaft und das Gros der afghanischen Bevölkerung befürchten. Man muss bedenken, dass Karsai bei den Afghanen nicht mehr gerade der beliebteste Präsident ist. Er steht für Korruption und Stillstand im Land. Die Internationale Gemeinschaft hat ebenfalls ihr Vertrauen in ihn verloren. Somit steht er für einen Fortgang, für ein System, das auf Vetternwirtschaften und Korruption basiert, aber nicht dafür, dass hier etwas nach vorne geht oder sich etwas auf politischer Ebene ändert.

domradio: Wie beurteilen Sie die Perspektive für Afghanistan?
Schetter: Die ist - wenn nicht wirklich ein radikaler Strategiewechsel stattfindet - sehr düster. Wir haben eine Eskalation der Gewalt in den letzten drei Jahren. Wir sehen, dass der Wiederaufbau immer stärker ins Stocken gerät. Wir sehen eine große Frustration bei den Afghanen, die die Internationale Gemeinschaft immer mehr ablehnt. Hier muss wirklich etwas passieren. Sonst erlebt die internationale Gemeinschaft in Afghanistan ein zweites Vietnam.

domradio: Was heißt das für die deutschen Soldaten in Afghanistan?
Schetter: Was hier ganz entscheidend ist: Beim gesamten Afghanistan-Einsatz weiß man gar nicht mehr, was eigentlich das Ziel ist. Geht es darum Terroristen zu jagen, Demokratie einzuführen, einen Staat aufzubauen? Das haben bisher die internationale Politik und gerade die deutsche Politik nicht geschafft, ihrem Militär zu vermitteln. Wir haben viele Bundeswehr-Angehörige in Afghanistan, die gar nicht mehr wissen, was sie in diesem Einsatz überhaupt machen sollen.