Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour im domradio zur Lage in seinem Geburtsland Iran

Auf Messers Schneide

Nach der umstrittenen Präsidentenwahl bleibt die Lage im Iran angespannt. Omid Nouripour wuchs in Iran auf, heute ist er im Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen. Im domradio beschreibt er, warum youtube Mahmud Ahmadinedschad stürzen könnte - und warnt zugleich vor einem Blutbad.

 (DR)

domradio: Der oberste Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei will die Wahl überprüfen lassen - ist das glaubhaft?
Nouripour: Das kann man jetzt noch nicht sagen. Das hängt von vielen Dingen ab: mit welchen Instrumenten überprüft wird,  wer das machen darf, und ob Mir Hussein Mussawis Beobachter und deren Aussagen auch berücksichtigt werden. Es kann auch sein, dass die Ankündigung nur eine Beruhigungspille sein soll für die Menschen auf den Straßen; dass gesagt wird: der Wächterrat überprüft, und nach zehn Tagen hofft man, dass sich die Situation beruhigt hat. Es ist völlig unklar, ob diese Überprüfung fair und gerecht stattfindet. Und es ist auch nicht klar, ob sie wirklich ernst gemeint wird.

domradio: Heute sollten Kundgebungen stattfinden, die wurden nun aber verboten.
Nouripour: Der Marsch wurde tatsächlich abgesagt - aber es sind bereits Menschen auf den Straßen, die marschieren. Es sind auch Streitkräfte mit Maschinengewehren und Panzern auf der Straße. Es ist also wirklich auf Messers Schneide, was weiterhin passieren wird. Ich hoffe, dass kein Blutbad kommt.

domradio: Rechnen Sie damit, dass sich die Unruhen auch von Teheran aufs Land ausbreiten werden.  
Nouripour: Die Unruhen sind bereits auf dem Land zugange. Berichte darüber, dass das nur in Teheran stattfindet, sind falsch. Es ist viel los. Tausende sind auf den Straßen unterwegs. Bislang ist in den Medien von 170 Verhafteten die Rede - diese Zahl ist längst überholt. Es gibt glaubhafte Berichte darüber, dass Milizen gestern Nacht in die Schlafdomizile von Studenten auf dem Universitätsgelände eingedrungen sind und alleine dort 250 Menschen verhaftet haben. Das ist die Gruppe, die in Haft dann auch am schlechtesten behandelt wird. Das sind ungeschützte Personen

domradio: Wie kann weitere Aufklärung herbeigeführt werden?
Nouripour: Die Aufklärung hat zwei Ebenen. Zum einen sind da die Nachrichten, die aus dem Land herausgehen. Und wir erleben auf eine kulturrevolutionäre Art und Weise, wie offen und transparent im Internet berichtet wird. Es gibt es jede Minute neue Videos von Ausschreitungen und Demonstrationen, die bei youtube hochgeladen werden. Videos, die mit dem Handy gemacht wurden. Wir haben also einen ziemlich guten Überblick darüber, was im Iran passiert. Und auch über die Frage, was am Wahltag alles schief gelaufen ist. Das ist eigentlich fast alles bekannt.
Die Frage ist die nach einer Einsicht bei der politischen Führung: dass das so nicht geht, dass das System auch noch destabilisiert ist durch diese schlecht gemachte Wahlfälschung, dann glaube ich, dass ein Wandel und auch eine - offizielle - Aufklärung möglich ist. Wenn nicht, wird es ein Blutvergießen geben und noch mehr Unruhe.

domradio: Sollte Präsident Mahmud Ahmadinedschad Wahlfälschung nachgewiesen werden - was würde passieren?  
Nouripour: Ich glaube, dass er guten Schutz bei den Revolutionswächtern findet. Es kann sein, dass er dann dort einen Beraterjob findet, dass er der Chef der Revolutionswächter werden würde. Man wird ihn nicht fallen lassen. Dafür ist er viel zu wichtig und zu sehr Ikone. Ahmadinedschad würde dann nicht aufgeben, sondern versuchen dem neuen Präsidenten Steine in den Weg zu legen. Das bedeutet: Auch wenn das Wahlergebnis korrigiert werden würde, ist er noch lange nicht aus dem Spiel.