Studie über Kirchen des 20. Jahrhunderts im Erzbistum Paderborn

"Noch nicht im kollektiven Gedächtnis angekommen"

Ein detailliertes Überblickswerk über den Kirchenbau im Erzbistum Paderborn von 1930-1975 hat der Kunsthistoriker Heinrich Otten vorgelegt. Otten beschreibt sämtliche Pfarr-, Filial- und Klosterkirchen und ordnet sie bauhistorisch ein. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur schildert er die Ergebnisse seiner Arbeit und begründet, warum moderne Kirchenbauten oft unterschätzt werden.

Autor/in:
Birgit Wilke
 (DR)

KNA: Herr Dr. Otten, was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Untersuchungszeitraum?
Otten: Auffällig für mich war, dass es ein breites Feld einer traditionell sachlichen Architektur gibt, die mit einer modernen avantgardistischen Sachlichkeit parallel läuft. Konkret heißt das:
Es gab die traditionelle Sachlichkeit mit steilen Giebeln, sparsamen Gesimsen und rundbogigen Fenstern und auf der anderen Seite, die mehr avantgardistische Bauhausmoderne. Für mich war es interessant festzustellen, dass mit dem zeitlichen Abstand von heute deutlich wird, dass das unterschiedliche Ausprägungen ein- und derselben Architekturstilrichtung sind.

KNA: Sie beginnen mit den Kirchen aus den 30er und 40er Jahren und schreiben, dass sich bei diesen im Vergleich zu denen aus den 20er Jahren im Baustil wenig ändert. Ist das nun als stiller Widerstand zu werten oder als Anbiederung an die Nazis, um deren Gebäude umso großartiger erscheinen zu lassen?
Otten: Weder noch. Die Entwicklung läuft im Prinzip ohne die politischen Zäsuren. In den frühen 30er Jahren ist die Architektur weiterhin durch traditionelle Sachlichkeit und einen Einheitsraum mit eindeutiger Ausrichtung geprägt. Und diese baulichen Lösungen werden auch während der nationalsozialistischen Diktatur weiterverfolgt. Auch in den 50er Jahren gibt es zunächst noch keinen Bruch. Es gibt also keine ästhetisch architektonische Differenz, die durch die politischen Gegebenheiten bedingt wäre. Verändert hat sich allerdings die Intensität des Bauens. Entstanden vor 1933 noch zehn oder mehr vollständige Neubauten pro Jahr, so sind es ab 1934 nur noch fünf.

KNA: Vor allem im zeitlichen Umfeld des Zweiten Vatikanischen Konzils setzte dann ein wahrer Bauboom ein. Hatten die Verantwortlichen im Rückblick eine zu optimistische Einschätzung von der Entwicklung der Katholikenzahlen?
Otten: Diese zu hohen Erwartungen waren offenbar da. Sie decken sich aber mit den Vorstellungen, die allgemein in der Gesellschaft verbreitet waren. So habe ich festgestellt, dass die Kommunen bereits große Neubauplanungen hatten und die Kirchen mitziehen sollten. Wegen des vergleichsweise hohen Kirchensteueraufkommens wurde vieles realisiert. Geplant wurde jedoch weitaus mehr.

Neben den Neubauten, mit denen dann versucht wurde, den Konzilsbeschlüssen gerecht zu werden und etwa eine größere Nähe zwischen Priester und Gemeinde zu schaffen, gab es auch viele Kirchenerweiterungen. Schon damals war der Priestermangel absehbar.
In vielen Fällen erkannten die Verantwortlichen, dass für kleinere Orte bald kein eigener Geistlicher zur Verfügung stehen kann und die Gemeinde sich mit einem Sonntagsgottesdienst begnügen muss. Dafür musste der Raum natürlich dementsprechend groß sein.  

KNA: Die Ästhetik der damals entstandenen Kirchen wird von vielen nicht unbedingt geschätzt. Oft wird abwertend von Betonkirchen gesprochen. Dazu kommen vielfach energetische Probleme. Ist von Kirchenschließungen die Rede werden, diese oft als erstes genannt.
Was ist zu tun, um sie vor möglichen Abrissen zu bewahren und sie den Menschen näher zu bringen?
Otten: Ein Problem ist, dass diese Kirchen derzeit weder neu noch alt sind. Sie sind noch nicht im kollektiven historischen Gedächtnis angekommen. Bauten aus dem 20. Jahrhundert befinden sich in einer Art Zwischenzone. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Wertschätzung ändern wird, wenn mehr Zeit vergeht. Dann wird man feststellen, dass diese Phase eine der Glanzzeiten des Kirchenbaus überhaupt gewesen ist. Wenn Gebäude geschätzt werden, dann werden sich auch bei bautechnischen Problemen angemessenere Lösungen finden lassen. Natürlich sollte man umgekehrt auch nicht sofort nach dem Denkmalschutz rufen, das ist die letzte Möglichkeit der Vollbewahrung. Die Verantwortlichen sollten aber dazu übergehen, den Bestand besser zu pflegen, anstatt diese Gotteshäuser durch eine - später eventuell fragwürdige - Neugestaltung nachhaltig zu verändern.

Hinweis: Das Buch von Heinrich Otten "Der Kirchenbau im Erzbistum Paderborn von 1930 bis 1975" ist in der Reihe "Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte" beim Bonifatius-Verlag erschienen und kostet 49.80 Euro.