"Cap-Anamur"-Gründer Rupert Neudeck wird 70 Jahre alt

"Ich haue gern mal dazwischen"

Die Fernsehzuschauer kennen ihn als eindringlichen Mahner - mit Mikro vor der staubigen Kulisse einer afghanischen Hügelkette oder live zugeschaltet aus einem Flüchtlingslager im Sudan. An unzähligen Krisenherden war der Menschenretter mit dem grauen Bart in den vergangenen drei Jahrzehnten im Einsatz. Und noch immer engagiert er sich unermüdlich gegen globale Missstände, organisiert Hilfe, ruft politisch Verantwortliche zur Vernunft. Am Donnerstag wurde Rupert Neudeck 70 Jahre alt.

 (DR)

Sein erster Appell, ein Hilferuf für vietnamesische Bootsflüchtlinge, lief 1979 im TV-Magazin "Report Baden-Baden". Damals war Neudeck noch ein wenig bekannter Journalist, Redakteur beim Deutschlandfunk: "Ich hatte Bilder der Ertrinkenden gesehen und wusste: Da müssen wir was tun." Neudeck rüttelte die Öffentlichkeit auf, charterte mit Spenden den Frachter "Cap Anamur" und zog mit seinen Helfern in den Folgejahren fast 10.000 Menschen aus dem südchinesischen Meer.

Aus dem Komitee "Ein Schiff für Vietnam", gegründet mit seinem Freund Heinrich Böll, wurde später das "Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte". Schnelle, unbürokratische Hilfe in den schlimmsten Krisenregionen der Welt, minimale Verwaltungskosten - das machte die Organisation glaubwürdig.

Neudecks Reihenhäuschen in Troisdorf bei Bonn war lange Zeit die Zentrale von Cap Anamur. Von dort aus steuerte er die weltweiten Hilfseinsätze. Heute ist sein schlichtes Domizil - "hier sieht es immer ziemlich unordentlich aus" - Sitz der "Grünhelme", einer Hilfsorganisation, die er nach seinem Rückzug von Cap Anamur 2003 gründete. Bei den "Grünhelmen" bringt Neudeck junge Muslime und Christen zusammen, die gemeinsam in Ländern wie Afghanistan und Irak Aufbauarbeit leisten.

Obwohl promovierter Philosoph ist Rupert Neudeck ein Mann der Tat,
kompromisslos gegen sich selbst: "Wenn ich was mache, mache ich's richtig", betont er. Schon als Jesuit mit Anfang 20 befolgte er die Exerzitien des Ordens mit unerbittlicher Strenge, bis zur völligen Erschöpfung. Anschließend habe er sich mehrere Jahre lang an der Universität "wieder gesundstudiert", wie er es ausdrückt. Dann wurde er Journalist.

Neben dem Evangelium wies ihn auch die Erfahrung der eigenen
Vertreibung den Weg zur humanitären Hilfe: Das Flüchtlingsschiff
"Wilhelm Gustloff" verpasste der gebürtige Danziger mit seiner Familie im Januar 1945 nur knapp - bevor es von Torpedos versenkt wurde und Tausende Menschen in der Ostsee ertranken: "Überlebt zu haben, weil man zu spät gekommen ist, das hat mich geprägt."

So engagiert sich Neudeck in die humanitäre Arbeit stürzt, so unerbittlich kritisiert er die Politik, wenn sie ihm menschenfern und unsinnig erscheint. "Ich haue gern mal dazwischen", sagt er. Gerne legt er sich zum Beispiel mit UN-Organisationen an, denen er bürokratische Schwerfälligkeit vorwirft.

Auch frühere Weggefährten traf schon sein Zorn: 2004 überwarf er sich mit dem damaligen "Cap-Anamur"-Vorsitzenden Elias Bierdel, der in einer umstrittenen Rettungsaktion afrikanische Flüchtlinge nach Italien gebracht hatte. Die italienischen Behörden ermittelten wegen illegaler Einreise, Neudeck sprach von Rufschädigung.

So gilt der Mann, der nach eigenem Bekunden "die Schnauze nicht halten kann", vielen als nervender Moralist, gar als Reizfigur. Neudeck selbst sagt, es sei für ihn eine Lehre aus dem Nationalsozialismus, dass man möglichst früh auf Missstände aufmerksam machen müsse.

Umso schmerzhafter trifft ihn deshalb, dass seine Kritik an der israelischen Palästinenserpolitik ihm den Vorwurf eines unterschwelligen Antisemitismus eingebracht hat. Sein Buch "Ich will nicht mehr schweigen - Über Recht und Gerechtigkeit in Palästina" rief 2006 den Protest des Historikers und Holocaustüberlebenden Arno Lustiger hervor. Ein Aufruf Lustigers verhinderte eine Lesung des Buches in einer evangelischen Kirche in Frankfurt. Diese Episode, sagt Neudeck, beschäftige ihn noch heute: "Das nagt an mir."