Katholischer Friedensethiker Hoppe über 60 Jahre Nato

"Politische Konfliktlösung muss Vorrang haben"

An diesem Wochenende wird in Baden-Baden, Kehl und Straßburg der 60. Gründungstag des Nordatlantikpakts gefeiert, der am 4. April 1949 geschlossen wurde. Thomas Hoppe, Professor für Katholische Sozialethik an der Universität der Bundeswehr Hamburg, sprach am Donnerstag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über Verdienste, Schwachstellen und künftige Ausrichtung der Nato.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
 (DR)

KNA: Herr Professor Hoppe, der 60. Geburtstag der Nato ist für viele kein Grund zum Feiern. Wo sehen Sie die Verdienste dieses Bündnisses?
Hoppe: Zum einen hat die Nato mitgewirkt, dass es zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation nicht zu einem Krieg kam. Das war eine Aufgabe, die für Nato und Warschauer Pakt mit einem hohen Maß an Verantwortung verbunden war. Die zweite Leistung war die Integration Westdeutschlands in eine Militärstruktur, die geholfen hat, eine gewisse Stabilität in Europa herbeizuführen. Und drittens war die friedliche Gestaltung der Transformation von 1989 nicht möglich ohne ein gerütteltes Maß an politischer Umsicht auch in den militärischen Bündnisstrukturen.

KNA: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sahen viele auch das Ende der Nato gekommen. Wie beurteilen Sie die Politik, die das Militärbündnis seither verfolgt?
Hoppe: Es ist nachvollziehbar, dass das Streben nach Sicherheit in einer unsicherer gewordenen Welt andauert, doch ergeben sich aus dieser Perspektive auch Probleme. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass man zu früh auf eine scheinbare militärische Lösung von im Kern politischen Konflikten setzt. Zugleich werden die Möglichkeiten einer politischen Bearbeitung solcher Konflikte zu gering veranschlagt. Ein weiteres Problem ist manche unglückliche Entwicklung im Prozess der Nato-Osterweiterung. Hier wäre mehr Kommunikation hilfreich, um Ängste bei einigen östlichen Nachbarstaaten gar nicht erst aufkommen zu lassen.

KNA: 2009 jährt sich der Kosovo-Krieg zum zehnten Mal. Wie bewerten Sie die Rolle der Nato bei diesem umstrittenen Einsatz?
Hoppe: Schon Monate vorher hatte sich ein Szenario aufgebaut, das zum Handeln drängte. Dennoch war diese Intervention völkerrechtlich problematisch. Und gerade die Zahl der zivilen Opfer hätte bei einer anderen Operationsführung sicher geringer sein können. Nach dem Krieg liegt das Hauptproblem zum einen in der Situation der im Kosovo verbliebenen Serben: Viele fristen bis heute eine zunehmend ungesicherte Existenz. Zum zweiten bestehen noch eher fragile Strukturen von Staatlichkeit im Kosovo, die sich nur schwer durchsetzen können etwa gegen die Netzwerke organisierter Kriminalität. Es ist Aufgabe der internationalen Akteure zu verhindern, dass diese Region erneut destabilisiert wird.

KNA: Gehen wir nicht zusehends einer Militarisierung der
Entwicklungs- und Außenpolitik entgegen?
Hoppe: Ich sehe hier tatsächlich eine reale Gefahr, die dadurch zunimmt, dass es eine Vielzahl nicht gelöster Krisen und Konflikte gibt. Deswegen müssen kirchliche Akteure wie politisch Verantwortliche immer wieder einschärfen: Die wichtigste Aufgabe internationaler Politik liegt darin, Strukturen und Strategien zur Prävention und gegen den Einsatz von Gewalt zu entwickeln.

KNA: Die katholische Friedensbewegung Pax Christi bezeichnet die Nato als «weltweite Eingreiftruppe in künftigen Rohstoffkriegen». Halten Sie diese Einschätzung - im Zuge von Klimawandel und Energieknappheit - für realistisch?
Hoppe: Ein solches Szenario aktiv zu verhindern, ist vorrangige Aufgabe heutiger Politik. Leitfaden muss auch hier ein zentraler Satz der Katholischen Soziallehre sein: «Die Güter der Erde sind für alle da.» Es gibt kein Recht des Stärkeren auf deren alleinige Nutzung, zumal wenn andere genauso oder noch stärker auf sie angewiesen sind.

KNA: Kritiker drängen auf die Abschaffung der Nato und die Entwicklung neuer Instrumente der Friedenssicherung. Wie könnten diese, gerade aus Sicht der katholischen Friedensethik, aussehen?
Hoppe: Das Zweite Vatikanum betont die Bedeutung eines Friedenssicherungssystems, das die Machtrivalität der Staaten durch internationale Solidarität und Vertrauensbildung zu überwinden sucht. Vorhandene Institutionen wie die Vereinten Nationen sind an diesen Kriterien zu messen und entsprechend weiterzuentwickeln.

Allerdings gehört dazu der Respekt vor Menschenwürde und Menschenrechten, ohne den eine qualifizierte Friedensordnung nicht denkbar ist. Das ist nicht zuletzt eine Lehre der Wendezeit vor 20 Jahren. Erst die Orientierung am Schutz der Menschenrechte kann auch verhindern, dass internationale Institutionen lediglich die Sonderinteressen einzelner Staaten verfolgen.

KNA: Sind Sie für die Abschaffung der Nato?
Hoppe: Dies erscheint mir nur dann realisierbar, wenn die Sicherheitsprobleme weltweit besser gelöst werden, als es heute der Fall ist. Heute muss man eher verhindern, dass durch eine wesentlich veränderte Grundkonstellation Instabilitäten im internationalen System zunehmen, denn dies würde die ohnehin vorhandene Kriegsgefahr weiter steigern.

KNA: Wie muss sich die Nato ausrichten, um eine überzeugende «Friedenspolitik» verfolgen zu können?
Hoppe: Die Nato sollte nicht selbst den entscheidenden friedenspolitischen Akteur darstellen wollen, sondern sich in einer Dienstfunktion gegenüber den autorisierten politischen Institutionen zur Friedenssicherung sehen. Wären die UN oder regionale Sicherheitssysteme wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) etwa im Nahen Osten stärker, ließen sich manche Gewaltkonflikte eher entschärfen. Diese politischen Institutionen haben die erste Entscheidungskompetenz für Fragen der internationalen Friedenssicherung. In diesem Rahmen gibt es vielfältige Möglichkeiten friedenspolitisch sinnvoller Kooperation, wie es zum Beispiel die Stabilisierungsmissionen auf dem Balkan zeigen.