Pro Asyl zum Flüchtlingsdrama vor Libyen

"Die EU agiert zynisch"

Mindestens 200 Flüchtlinge sind am Dienstag vor der libyschen Küste ertrunken. Die Afrikaner waren mit drei Kuttern auf dem Weg nach Italien im Sturm in Seenot geraten. "Das ist die größte Flüchtlingskatstrophe in der Geschichte der EU", so Karl Kopp. Im domradio krisiert der Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl die europäische Flüchtlingspolitik.

 (DR)

Nach der Bootskatastrophe im Mittelmeer kritisiert auch "Cap Anamur"-Gründer Rupert Neudeck die EU-Flüchtlingspolitik. Im Interview des "Münchner Merkur" nannte er es nutzlos, die Außengrenzen "mit Polizeikräften systematisch abzuschotten". Zudem kritisierte er, dass Europa den afrikanischen Küstenländern "viel Geld" überweise, um Flüchtlingsströme zu verhindern. "Man kann eine solche Völkerwanderung weder durch Grenzen oder Zäune stoppen, noch durch falsch investiertes Geld", so Neudeck.

Den Machthabern der betroffenen Küstenstaaten in Afrika warf er vor, nicht das geringste Interesse daran zu haben, die Wirtschaft ihres Landes anzukurbeln und den Lebensstandard der Bevölkerung zu erhöhen. "Diese Leute sind nur daran interessiert, über Nummernkonten in der Schweiz ihren eigenen Wohlstand zu mehren", sagte der "Cap Anamur"-Gründer.

Nach seinen Angaben zahlen afrikanische Flüchtlinge für einen Platz auf einem Boot im Schnitt 2.000 US-Dollar. Das Ticket werde von der Familie oder der ganzen Dorfgemeinschaft finanziert; im Gegenzug müssten die Migranten Geld in ihre Heimat zurücküberweisen. "Es gibt für sie kein Zurück, selbst wenn sie wollten, denn sie müssen erst ihre Schuld abtragen", so Neudeck. Vor Lybiens Mittelmeerküste werden nach dem Untergang eines Flüchtlingsboots mehrere hundert Menschen vermisst.
Hunderte Tote und Vermisste
Bislang wird 300 vermissten Bootsflüchtlingen ausgegangen. Der italienische Rundfunk berichtete allerdings von rund 500 Insassen in den drei verunglückten Kuttern, die 30 Kilometer vor der afrikanischen Küste kenterten. Die libysche Küstenwache habe rund 20 Menschen retten können.

Bei den Flüchtlingen soll es sich nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hauptsächlich um Ägypter und Tunesier handeln. Unter den Opfern seien möglicherweise auch Menschen aus dem südlichen Afrika. Nach unbestätigten Berichten hatte ein italienischer Tanker bereits in der Nacht zu Montag 350 Insassen eines in Seenot geratenen Flüchtlingsschiffs gerettet.

Am 15. Mai tritt ein italienisch-libyschen Abkommens über gemeinsame Küstenpatrouillen in Kraft. Der italienische Innenminister Roberto Maroni erwartet, dass die Zahl der Überfahrten dadurch drastisch sinkt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk befürchtet dagegen, dass wegen der weltweiten Wirtschaftskrise noch mehr Menschen zu der gefährlichen Reise von Afrika nach Europa aufbrechen. Allein in den vergangenen Tagen kamen 400 Flüchtlinge auf Sizilien und rund 200 auf Lampedusa an.

36.000 Flüchtlinge 2008
Laut UNHCR erreichten im vergangenen Jahr rund 36.000 Flüchtlinge Italien aus Richtung Nordafrika. Etwa 75 Prozent der Ankömmlinge hätten politisches Asyl beantragt. Das Hilfswerk schätzt, dass jedes Jahr Tausende Menschen auf der Flucht von Afrika über das Mittelmeer nach Europa ihr Leben verlieren.

Die Flüchtlingsboote seien in der Regel hoffnungslos überfüllt. Die Menschenschmuggler missachteten zudem alle Sicherheitsvorschriften. In Libyen halten sich nach IOM-Angaben bis zu 1,5 Millionen Migranten auf. Die Öl- und Gasindustrie zieht viele arme Menschen aus anderen Ländern Afrikas an. Viele von ihnen wollen weiter nach Europa.