Nach Katastrophen wie dem Amoklauf in Winnenden fragen Menschen verstärkt nach dem Sinn des Lebens

Lehrt Not beten?

"Not lehrt beten" - Das alte Sprichwort wird besonders nach Katastrophen wie dem Amoklauf im baden-württembergischen Winnenden aktuell. Die Kirchen füllen sich. Viele Menschen suchen in Gottesdiensten eine religiöse Form für ihre Trauer und ihr Entsetzen - auch solche, die der Kirche und dem christlichen Glauben sonst eher fernstehen.

Autor/in:
Stephan Cezanne
 (DR)

«Echt schlimm was in winnenden passiert ist! mein gott wo bist du in so einen moment», schreibt der Blogger «deeks» auf der Internet-Plattform Twitter. Ein anderer twittert: «Leute strömen zum Gottesdienst in Winnenden - zeigt sich wieder, dass Gott in der Not wieder da sein muss, aber wehe die Not is vorbei....»

Theologen werten dies nicht als Heuchelei oder Scheinheiligkeit. Notfallsituationen seien vielmehr Schnittstellen des Lebens, an denen Sinn und Wertfragen aufbrechen. «Not lehrt tatsächlich beten», heißt es etwa im Evangelischen Erwachsenenkatechismus. Wer allerdings meine, den Leuten müsse es erst wieder so richtig schlecht gehen, bevor sie auf den Pfad der christlichen Tugend zurückkehren, verfehle und bagatellisiere die tiefe Wahrheit dieses Satzes, so die protestantische Glaubenslehre.

Not, Leiden und Tod sind zentrale Themen der Religionen.
Existenzielle Erschütterungen können eine Chance zu seelischer Reife und Wachstum sein. Um am Leid nicht zu zerbrechen, müsse man lernen, es zu akzeptieren, raten alte Weisheitslehren und moderne Lebenshilfen. Ziel sei es, das Urvertrauen in das Leben wiederzugewinnen, so Religionswissenschaftler und Psychologen.

Gerade angesichts von Katastrophen - wie etwa am 11. September
2001 bei den Terroranschlägen in den USA, der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 oder bei verheerenden Amokläufen - spüren Menschen, dass sie ihr Leben nicht selbst in der Hand haben. «Unser Herz erschrickt, weil wir an diesem entsetzlichen Unglück erkennen: Unser Leben ist zutiefst verletzbar», sagte die Landesbischöfin Margot Käßmann nach dem schweren Busunglück mit 20 Todesopfern bei Hannover Ende vergangenen Jahres.

Ein klassisches Beispiel zum Umgang mit Leid und Not aus der christlich-jüdischen Tradition ist das Buch Hiob im Alten Testament. Glaubt der vorbildlich fromme Hiob nur an Gott, wenn es ihm im Leben gut geht? Dies vermutet der Teufel und stellt ihn auf die Probe. Mit Gottes Zustimmung nimmt er ihm seine Kinder, seine Habe und schlägt ihn mit bösen Geschwüren. Doch trotz dieser «Hiobsbotschaften» hält er an Gott fest.

Seit Jahrhunderten beten Menschen in Not und Verzweiflung mit den Worten Hiobs: «Jetzt aber zerfließt meine Seele in mir, und Tage des Elends haben mich ergriffen.» Hiobs Geschichte zielt auf die ewig aktuelle Frage nach dem Sinn des Leidens. Der gequälte Hiob stellt das bisherige «vernünftige» Gottesbild in Frage. Er fängt an, Gott als einen Herrscher über eine chaotische Welt zu verstehen. Das Buch Hiob schildert eine mystische Gotteserfahrung, die bohrende Sinnfragen nach dem Sinn des Leidens hinter sich lässt.

  Es sei eine «böse Versuchung», sich Not überhaupt erst herbeizuwünschen damit die Kirchen voller werden, warnte der Limburger katholische Altbischof Franz Kamphaus einmal. «Unser Gott will Leid und Not ausdrücklich nicht!» Dennoch könne Not beten lehren. Die Not helfe, Gott «neu zu