Nach Jahrhundert-Trockenheit überziehen Frühjahrsstürme Israel

Segen und Fluch zugleich

Mit eingezogenen Köpfen stemmen sich die Pilgergruppen gegen den kalten Wind in den Gassen Jerusalems. Regenschirme knicken die wechselhaften Böen wild durcheinander. Im Februar hat das Heilige Land endlich seinen Winter: nass und stürmisch, manchmal mit Hagelschauern und Gewittern. Jetzt hoffen die Menschen, dass die sintflutartigen Güsse ausreichen, um die Trockenheit der Monate davor auszugleichen.

Autor/in:
Gabi Fröhlich
See Genezareth: Größtes Wasserreservoir des Heiligen Landes (KNA)
See Genezareth: Größtes Wasserreservoir des Heiligen Landes / ( KNA )

Einige Tage bevor sich die himmlischen Schleusen öffneten stand Abt Benedikt Lindemann noch besorgt am idyllischen Freilichtaltar von
Tabgha: "Der Wasserspiegel liegt fünf Meter tiefer als er sollte", erklärte er mit Blick auf das breite Ufer aus Steinen und Schilf, das zwischen Freilichtaltar und See klafft. "In den letzten beiden Jahren hat es viel zu wenig geregnet." Die deutschen Benediktiner sind wie auch die Landwirte rundherum dankbar für jeden Tropfen vom Himmel. Ihr üppiger Garten ist Symbol für den göttlichen Überfluss der Brotvermehrung, die hier verehrt wird. "Aber wenn es jetzt nicht wirklich viel regnet, kann es schon sein, dass das Wasser im Sommer rationiert wird."

Die Wasserreservoire des Heiligen Landes füllen sich üblicherweise im Winter auf. Das größte von ihnen ist der See Genezareth. Über eine riesige Anlage werden rund 500 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich aus dem "Kinneret" abgepumpt, wovon der Großteil über Leitungen nach Tel Aviv, Jerusalem und bis in die südliche Wüste Negev transportiert wird. Dort wird es vor allem für Haushalte und die wasserintensive Landwirtschaft gebraucht. Durch das Abpumpen kann der Wasserspiegel des Sees im Sommer um bis zu einen Zentimeter pro Tag absinken. Sein Abfluss, der Jordan, ist so längst zu einem trüben Rinnsal geworden, das nur noch entfernt an den stolzen Fluss erinnert, in dem Jesus einst getauft wurde.

Der trockenste Winter seit 1920
In diesem Januar jedoch hat die israelische Wasserbehörde die Notbremse gezogen: Es war der trockenste Winter seit Beginn der Messungen im Jahr 1920 - die Pumpen wurden gestoppt, damit die kritische "schwarze Linie" nicht unterschritten wurde. Unterhalb dieser Linie besteht die Gefahr, dass der See "kippen" könnte, was Israel für sein wichtigstes Trinkwasserreservoir nicht riskieren darf. In Tiberias fanden sich ein jüdischer Rabbi, ein christlicher Pastor und ein muslimischer Imam für ein gemeinsames Not-Gebet um Regen zusammen - was Mitte Februar offensichtlich erhört wurde.

Knapp hundert Kilometer südwestlich freut sich auch Faies Khourie über den nassen Segen: Der Hirte von Taybeh, vielleicht der letzte christliche Hirte im Westjordanland, musste schon im Vorjahr wegen der großen Trockenheit Futter für seine Tiere zukaufen, was ihn an den Rand des Ruins brachte. Und dieses Jahr lief noch schlechter an.

Im Gegensatz zu israelischen Landwirten haben Palästinenser wie Khourie keine modernen Sprenganlagen für ihre Äcker und Felder - wenn der Regen ausfällt, fällt die Ernte aus und muss der Hirte einen Teil seiner Herde schlachten.

Zwischen Hoffen und Bangen
Im ganzen Westjordanland hofft man nun mit Bangen, dass die Februar-Stürme den bisherigen Mangel wenigstens etwas ausgleichen.  Der Sommer soll laut Vorhersagen wieder heiß werden, und schon im letzten Jahr war mancher palästinensischer Gemeinde von den israelischen Behörden über Wochen das Wasser komplett abgedreht worden. Gleichzeitig fürchten die Bauern aber auch um ihre Ernte, da die jüngsten Hagelstürme möglicherweise die allzu frühe Frühjahrsblüte vernichtet haben. Unklar ist auch, welche Schäden die Überschwemmungen angerichtet haben.

Als Segen und Fluch zugleich werden auch im Gazastreifen die eisigen Stürme empfunden: Dort sitzen nach wie vor Tausende von im Krieg obdachlos gewordene Menschen in zugigen Zelten zusammengepfercht - die Regenböen durchnässen eben nicht nur die von Panzern aufgewühlten Felder rundherum, sondern auch ihre Kleider und Decken.