Das berüchtigte Foltergefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh

Ein Ort des Grauens als Attraktion

"Es ist verboten, während Auspeitschungen oder Elektroschocks zu weinen." Das war Regel Nummer 6 der Lagerordnung in S 21, dem Foltergefängnis der Roten Khmer in Phnom Penhs Stadtviertel Tuol Sleng.

Autor/in:
Michael Lenz
 (DR)

Als 1979 die vietnamesische Armee einrückte und der Schreckensherrschaft von Rote-Khmer-Chef Pol Pot ein Ende setzte, lebten in S 21 nur noch sieben Häftlinge. Zwischen 15.000 und 17.000 Gefangene waren nach monatelanger Folter in Tuol Sleng auf den "Killing Fields" vor den Toren der Stadt umgebracht worden.

Der 65 Jahre alte Vann Nath mit dem schlohweißen Haar ist einer der sieben. Sein Überleben verdankt er dem Umstand, dass er ein Künstler ist. "Ich musste Porträts von Pol Pot malen." Die Folter hat ihm seine Kunst nicht erspart: "Immer wieder haben sie mich mit Elektroschocks gequält." Das Gefängnis S 21 ist heute als "Genozidmuseum Tuol Sleng" eine Gedenkstätte an die knapp vierjährige Terrorherrschaft der Roten Khmer. Mehr als zwei Millionen Männer, Frauen und Kinder starben in diesen Zeit - gefoltert, erschlagen oder verhungert.

Tuol Sleng steht auf jeder Liste von Phnom-Penh-Touristen. Am Sonntag vor Prozessbeginn gegen den ehemaligen Leiter des Gefängnisses, Kang Kek Eav, am Dienstag geht alles seinen gewohnten Gang. Touristen aus aller Welt, jeder Hautfarbe und jeglichen Alters, wollen mit eigenen Augen sehen, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind. Der Prozess habe aber nicht mehr Besucher angelockt, meint die Kartenverkäuferin.

Wer es durch die vielen Bettler und die Scharen von Tuk-Tuk-Fahrern schafft, die um Fahrgäste buhlen, ist verwirrt, wie friedlich und fast schön das ehemalige Gefängnis wirkt. Im Hof blühen weiß die Frangipanibäume; hohe Palmen ragen in den blauen Himmel. Doch hinter der paradiesisch wirkenden Fassade lauert das Grauen. Da ist das ehemalige Klassenzimmer, das bis auf ein eisernes Bett ohne Matratze leer ist. "Darauf wurden Gefangene geschnallt und gefoltert", erklärt ein Führer einer Gruppe junger Malaysier. Die schweigen betreten, zücken verlegen ihre Digitalkameras: Erinnerungsfotos vom Grauen.

Geständnisse unter Folter
Im nächsten Gebäude sind Tausende Fotos von Gefangenen ausgestellt.  Kang Kek Eav, bekannt unter dem Namen Duch, der sich nun als erster von insgesamt fünf Angeklagten vor dem Tribunal aus internationalen und kambodschanischen Richtern für seine Taten verantworten muss, hat penibel dokumentiert, was in seinem Gefängnis vorging und wer seiner Herrschaft ausgeliefert war. Die meisten Häftlinge in Tuol Sleng waren Mitglieder der kommunistischen Roten Khmer, die den Säuberungswellen von Diktator Pol Pot zum Opfer fielen. Die Geständnisse, Agenten der CIA zu sein oder für die Erzfeinde von der kommunistischen Partei Vietnams zu arbeiten, wurden unter Folter erzwungen.

Die Gesichtsausdrücke der Häftlinge auf den Fotos sprechen Bände.
Viele schauen mit verwirrter Zuversicht in die Kamera. Sie scheinen ihre Festnahme für einen Irrtum der Partei zu halten, den sie schnell aus der Welt schaffen können. Andere aber scheinen zu ahnen, was sie erwartet. Ihre Augen verraten Angst, aber auch Entschlossenheit, ihr Schicksal mit Würde zu ertragen. Emotionen verrät auch die Mimik der Touristen, während sie Fotos von den Fotos schießen. Entsetzen ist in den Gesichtern zu sehen, Erstaunen, Ungläubigkeit, Verwirrung, Wut. Sehr still ist es in dem Raum. Die Schilder mit einem lachenden Gesicht, das rot durchkreuzt ist, hätte sich die Leitung der Gedenkstätte sparen können. Niemandem ist zum Lachen zumute.

Vann Nath will als Zeuge vor dem Tribunal das schildern, was er bereits vor 30 Jahren nach seiner Befreiung gemalt hat. Man muss sich zwingen, seine Ölgemälde über Folter und Mord anzuschauen: einem auf einem eisernen Bett gefesselten Mann werden mit einer Zange die Brustwarzen abgerissen; ein anderes zeigt einen Rote-Khmer-Soldaten, der vor den Augen der Mutter ein Baby mit dem Kopf gegen einen Baum schlägt. "Es war ein schmerzhafter und fürchterlicher Prozess, diese Szenen zu erinnern und zu malen", sagt Vann Nath: "Aber die Wahrheit muss gesagt und gezeigt werden."