Zu Weihnachten finden regelmäßig religiöse Themen Eingang in Nachrichtenmagazine

Faszination Religion

"Die Erfindung Gottes", "Der Koran", "Gott gegen Darwin" - religiöse Titelgeschichten wie diese finden seit Ende der 90er Jahre regelmäßig Eingang in Magazine und Wochenzeitungen. Diese Zuwendung fällt umso mehr auf, als doch insbesondere "Der Spiegel" in den 70er und 80er Jahren häufig Abgesänge auf die Kirche anstimmte.

Autor/in:
Dorothee Kolnsberg
Eine ganze Generation von Journalisten war vom Protest gegen die Kirche geprägt - die Zeit scheint vorüber (DR)
Eine ganze Generation von Journalisten war vom Protest gegen die Kirche geprägt - die Zeit scheint vorüber / ( DR )

"Eine ganze Generation von Journalisten war vom Protest gegen die Kirche geprägt", sagt die Professorin für Christliche Publizistik in Erlangen, Johanna Haberer. Dahinter habe wohl auch die Vorstellung gesteckt, man könne die Kirche als über Jahrhunderte gewachsene Institution durch historisch-kritische Betrachtung aushebeln. Mittlerweile werden an kirchlichen Jahresfesten wieder selbstverständlich religiöse Themen zur Titelgeschichte. "Der antiklerikale Reflex, der über Jahre gut funktioniert hat, ist außer Tritt gekommen", beobachtet Johann Hinrich Claussen, Propst und Publizist in Hamburg.

Der "Spiegel"-Titel "Wie ist der Monotheismus wirklich entstanden?" zu Weihnachten 2006 sei eine Art letzter Reflex, der auf massiven Protest gestoßen sei, meint Claussen. Angeblich sei der Monotheismus per se gewalttätig, wird darin behauptet. Der Ägyptologe Jan Assmann, der als Kronzeuge hatte herhalten müssen, habe sich jedoch im Nachhinein von zugespitzten Aussagen distanziert.

Hinter der Faszination von Religion sieht "Welt"-Redakteur und Theologe Edgar S. Hasse auch ein Bedürfnis nach Transzendenz, das in der Weihnachtszeit besonders stark sei. "Die Menschen denken über sich und ihre Familie nach." Die Sinnfrage verstärke das Interesse an Religion. Zudem ruht über die Feiertage weithin der politische Betrieb, und Themen wie die Föderalismusreform lassen sich erfahrungsgemäß nur schlecht verkaufen.

Die Themen, die der "Spiegel" für das Weihnachtsheft auswählt, sind seit 2001 von der Verunsicherung durch die Terroranschläge geprägt. Damals wurde der 11. September mit dem Titel problematisiert: "Welche Werte hat der Westen?" Oder anders formuliert: Welche Werte hat der Westen und damit das Christentum dem Islam entgegenzusetzen? 2007 war der Koran und damit der Islam selbst Inhalt der Titelgeschichte.

Im "Focus" wird dagegen auf den Nutzen von Religion geblickt. "Was nützt Religion?" ist ein Beispiel. Dahinter steht die Frage, ob Glaube ohne Gott und Kirche möglich sei, oder ob man sich "gesundbeten" könne. Was die Titelgeschichten im "Spiegel" verbindet, ist nach wie vor der Anspruch, den Leser darüber aufzuklären, dass Christen an etwas ganz Unvernünftiges glauben: zum Beispiel an die Schöpfungsgeschichte oder die "Echtheit" der Bibeltexte.

Johanna Haberer vermisst dabei eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung. "Da bestehen Berührungsängste." Die Theologin plädiert dafür, Fachkräfte für diese Themen einzustellen. Außerdem sollten nicht nur Religionswissenschaftler befragt werden, sondern auch Theologen zu Wort kommen. "So bleibt es immer ein Blick von außen", kritisiert Haberer.

Nicht nur die personelle Besetzung innerhalb der Redaktionen, sondern auch äußere Einflüsse spielten bei der Hinwendung zu religiösen Themen eine große Rolle. Das Interesse entscheidend befördert habe die Diskussion um die Rechtfertigungslehre 1997, sagt Robert Leicht, ehemaliger Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit". Auch die Wahl eines Deutschen zum Papst habe eine große Rolle für den Popularitätsgewinn religiöser Themen gespielt, ist eine Beobachtung von Leicht.

Für das diesjährige Weihnachtsfest erwartet der Hamburger Hauptpastor Johann Hinrich Claussen ein noch stärkeres Interesse der Medien an dem, "was bleibt". Die Menschen fühlten sich von die internationalen Finanzkrise existenziell betroffen, unmittelbarer als nach den Terroranschlägen am 11. September 2001. In dieser Verunsicherung sähen viele in der Kirche die letzte Instanz, die dem widersteht.