Vor zehn Jahren wurde Alois Estermann, ermordet

Dunkle Wolke über dem Vatikan

Vielleicht stehen Schatten wieder auf, wenn am 6. Mai 33 neue Schweizergardisten im Vatikan ihren Diensteid ablegen. Mann für Mann werden sie dem Papst Treue schwören.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Ein feierlicher Tag für alle Mitglieder der päpstlichen Schutztruppe.  Doch vor zehn Jahren fehlte jemand bei der Zeremonie: Kommandant Alois Estermann. Er war tot, erschossen, und mit ihm seine Frau Gladys Meza Romero und Vizekorporal Cedric Tornay. Die Bluttat vom 4. Mai 1998 gilt noch immer als traumatisches Ereignis. Zeitzeugen geht sie näher als die historische Katastrophe des "Sacco di Roma" von 1527. Damals fielen in Verteidigung des Papstes gegen die Söldner von Kaiser Karl V. an einem einzigen Tag 147 Gardisten. Das ist lange her und war ehrenvoll. Doch der Anschlag auf den Kommandanten aus den eigenen Reihen befleckte das traditionsstolze Image der Schweizer Eliteeinheit mit ihren nachempfundenen Renaissanceuniformen.

Dem vatikanischen Schlussbericht zufolge war es die Tat eines gekränkten, geistig beeinträchtigten Soldaten: Der 23-jährige Walliser Tornay drang demnach an jenem Schicksalsabend kurz vor 21.00 Uhr in die Dienstwohnung seines Vorgesetzten und erschoss ihn und seine Frau, bevor er sich selbst mit seiner Ordonnanzpistole richtete. Der Grund: Groll über eine verwehrte Auszeichnung, Frust über die Ernennung Estermanns, eine geplatzte Berufsaussicht in der Schweiz. All das vor dem Hintergrund chronischen Haschisch-Konsums, einer taubeneigroßen Zyste im linken Vorderhirn, starker Erregbarkeit, eingeschränkter Urteilsfähigkeit und charakterlicher Unreife.

Aus 10 Fachgutachten, 5 Polizeirapporten, 38 Vernehmungsprotokollen destillierte der Vatikan einen ganzen Komplex von Gründen und Hintergründen; ein Teil davon hätte zur Erklärung genügt. Dennoch oder gerade deshalb keimten Gerüchte: Tornay wurde abwechselnd eine Affäre mit Meza Romero oder eine homosexuelle Liaison mit dem Gardekommandanten unterstellt; Estermann solle eine Doppelrolle als Spion gespielt haben. Die Hinterbliebenen verwahrten sich energisch gegen solche Spekulationen.

Verschwörungstheorie
Tornays Mutter Muguette Baudat behielt indessen Zweifel. Der Abschiedsbrief ihres Sohnes sei gefälscht, erklärte sie, und auch der Obduktionsbefund weise Ungereimtheiten auf: Die Waffe müsse Tornay gewaltsam in den Mund gesteckt worden sein. Zum Zeitpunkt des Kopfschusses sei er bereits durch einen Schlag bewusstlos gewesen. Nach Baudats Auffassung sollte ihr Sohn als Schuldiger für einen Doppelmord herhalten, dessen wahre Urheber nie gefunden wurden - weil man sie nicht suchen wollte.

Auch diese Verschwörungstheorie bekam Risse. Trotzdem nahm der Nachfolger des ermordeten Kommandanten, Pius Segmüller, die Mutter Tornays in Schutz: Sie sorge sich "wie eine normale Mutter", man dürfe ihre Motive nicht missbrauchen. Mit Segmüller wurden Elmar Mäder als Vizekommandant und Jean-Daniel Pitteloud als frankophoner Offizier in die Truppenleitung berufen. Alle drei kamen von außen; der Vatikan wollte einen gründlichen Neuanfang.

"Für uns intern ist der Vorgang abgeschlossen"
Mäder, 2002 zum Kommandant aufgestiegen, tritt im Sommer ab. Damit rückt jene Episode noch weiter in die Ferne, die man in der Garde als "dunkle Wolke" bezeichnet. "Für uns intern ist der Vorgang abgeschlossen", sagt Korporal Erwin Niederberger, Pressesprecher der Truppe. Mäder will sich nicht äußern.

Man wird im Vatikan eine Gedenkmesse für die Toten von damals feiern; auch in der Schweiz versammeln sich Ex-Gardisten zum Gottesdienst.
Dass sich noch einmal ein weltliches Tribunal der Sache annimmt, wie es die Mutter Tornays weiterhin fordert, ist wenig wahrscheinlich. Für Tornay gilt, was Papst Johannes Paul II. schon wenige Tage nach der Bluttat sagte: Er ist seinem göttlichen Richter begegnet.