Annäherung von Ankara und Aleviten überschattet

Zu tief sitzt das Misstrauen

In der Türkei haben sich erstmals Regierung und Vertreter der alevitischen Religionsgemeinschaft zu einem symbolträchtigen Abendessen an einen Tisch gesetzt. Ministerpräsident Erdogan suchte dabei Versöhnung. Doch davon wollten viele Aleviten nichts wissen. Zu tief sitzt ihr Misstrauen gegen die Regierung.

 (DR)

Während Erdogan sein halbes Kabinett mitbrachte, boykottierten die meisten alevitischen Organisationen aber das Treffen.

Erdogan betonte am Freitagabend in Ankara die Gemeinsamkeiten von Aleviten und sunnitischen Muslimen. Er sei gekommen, um Freunde zu gewinnen, sagte der Politiker der konservativ-islamischen Partei AKP. Doch davon wollten viele Aleviten nichts wissen, zu tief sitzt ihr Misstrauen gegen die Regierung.

EU fordert von Türkei Anerkennung der Aleviten
Der AKP-Abgeordnete Reha Camuroglu, selbst Alevit, hatte die Begegnung während der alevitischen Fastenzeit organisiert, um eine Annäherung zwischen der Regierung und der vielfach diskriminierten Religionsgemeinschaft zu erreichen. Dabei sollte ein Weg gefunden werden, die zwischen zehn und 20 Millionen Aleviten als anerkannte und gleichberechtigte Gruppe in das türkische Staatsgefüge zu integrieren. Das fordert die EU seit Jahren. In den jährlichen EU-Beitrittsberichten wird unter anderem die fehlende Anerkennung der Aleviten bemängelt.

Mit seiner Initiative stieß Camuroglu jedoch auf erbitterten Widerstand bei vielen Aleviten, die den türkischen Regierungen generell eine Assimilationspolititk unterstellen. "Ein amtlicher Rahmen für das Alevitentum wäre ein Sieg für die Jahrhunderte langen Assimilationsversuche", schimpfte der Vorsitzende des Alevitischen Forschungszentrums, Ali Yildirim. Einige alevitische Geistliche drohten sogar an, alle Teilnehmer bei dem Abendessen aus der Glaubensgemeinschaft zu verbannen.  

Auch der "Tatort"-Krimi war Thema
Das Alevitentum entstand im Mittelalter im Gebiet der heutigen Türkei aus einer Vermischung islamischer und nicht-islamischer Elemente. Mit dem sunnitischen oder schiitischen Islam hat die Glaubensform wenig gemeinsam. Es ist sogar umstritten, ob Aleviten Muslime sind. Immer wieder wurde die Minderheit verfolgt. Dabei spielte auch der Vorwurf eine Rolle, dass Aleviten Inzest begingen. Als ein "Tatort"-Krimi diese Verleumdung im deutschen Fernsehen aufgriff, war die Empörung unter Aleviten groß. Tausende protestierten in Köln, anschließend entstand bei domradio.de eine Debatte über einen alevitenkritischen Brief der SPD-Bundestagsabgeordneten Lale Akgün. Erdogan kündigte bei dem Abendessen an, ebenfalls gegen den Krimi zu protestieren.

Wie eine mögliche Anerkennung des Alevitentums als mehr oder weniger eigenständige Religionsgemeinschaft aussehen könnte, ließ Erdogan offen. Es werde sich zeigen, wie leicht schwer lösbar erscheinende Probleme zu lösen seien, deutete der Regierungschef an. Probleme gibt es genug. Anders als sunnitische Imame erhalten alevitische Geistliche kein Geld vom Staat. Alevitische Gebetsstätten sind nicht offiziell anerkannt. Alevitische Kinder müssen an einem sunnitisch geprägten Religionskundeunterricht teilnehmen. Im Beruf werden Aleviten immer wieder benachteiligt.

Allerdings sind die Aleviten untereinander zerstritten, was sie erreichen wollen. Einige fordern einen eigenen Platz in der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit staatliche Gelder. Andere lehnen das vehement ab. Wie tief die alten Vorurteile auch bei Abgeordneten der Regierungspartei AKP sitzen, wurden bei den jüngsten Haushaltsberatungen deutlich. Als es um die Frage ging, ob neben dem sunnitischen Islam auch das Alevitentum staatliche Mittel erhalten sollte, warnte der AKP-Abgeordnete Mustafa Özbayrak, dann könnten bald auch die Satanisten Ansprüche erheben.

Von Andreas Gorzewski (epd)