Hinweise auf staatliche Verstrickung in Christenmorde

Auftrag von ganz oben?

Bei den Ermittlungen zu den Christenmorden im osttürkischen Malatya verdichten sich die Hinweise auf eine Verstrickung staatlicher Stellen in das Verbrechen. Wie der türkische Fernsehsender CNN-Türk am Mittwoch berichtete, erhielten die mutmaßlichen Täter ihre Instruktionen offenbar von höherer Stelle. Dies gehe aus der Aussage eines der Angeklagten hervor, meldete der Sender. Am 18. April waren der Pastor der protestantischen Gemeinde von Malatya und zwei Gemeindemitglieder, darunter ein Deutscher, zu Tode gefoltert worden.

 (DR)

Der mutmaßliche Anführer der Bande, Emre Günaydin, sagte seinen Mitverschwörern laut Medienbericht kurz vor der Tat, die Aktion sei vom ursprünglich geplanten Datum um einen Tag "vorgezogen worden". Günaydin habe dabei ausdrücklich die passive Formulierung benutzt, sagte der Mitangeklagte Salih Gürler. Nach seinen Angaben hatte Günaydin in der Zeit vor der Tat plötzlich sehr viel mehr Geld als zuvor.

Zugleich stellte sich heraus, dass die Aufnahmen einer Überwachungskamera, mit der Günaydin nach der Tat im Krankenhaus beobachtet wurde, auf mysteriöse Weise gelöscht wurden. Der mutmaßliche Anführer der Bande war nach dem Mord an den drei Christen im dritten Stock eines christlichen Verlagshauses in Malatya aus dem Fenster gesprungen, hatte sich dabei schwer verletzt und lag zehn Tage lang im Krankenhaus, bevor er vernommen werden konnte. Als die Staatsanwaltschaft nun die Aufnahmen von der Sicherheitskamera in seinem Zimmer anforderte, um etwaige Kontakte und Besucher in dieser Zeit zu überprüfen, stellte sich nach Berichten der türkischen Presse heraus, dass die Aufnahmen gelöscht waren.

Ermittlungsverfahren gegen Staatsanwalt
Unterdessen leitete die Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen einen Staatsanwalt in Istanbul ein, der in den Wochen vor der Tat per SMS mit einem der mutmaßlichen Täter in Malatya in Verbindung stand. Außer mit dem Staatsanwalt hatten die Angeklagten in den Wochen und Monaten vor der Tat unter anderem auch mit Vertretern von Polizei, Militär und Politik regelmäßig telefoniert: unter anderem mit dem Hauptquartier der polizeilichen Spezialeinheiten, mit einem Militärvertreter in Malatya und mit einem Parlamentskandidaten. Dabei benutzten sie in den sechs Monaten vor den Morden 106 verschiedene Telefonnummern.

Die Anwälte der Hinterbliebenen der Opfer beklagen schon länger, dass die wahren Hintergründe der Tat bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft unbeleuchtet blieben. So sei die Anklagebehörde auch einem anonymem Brief nicht weiter nachgegangen, wonach die Täter von einem Armeeoffizier und einem Theologie-Dozenten in Malatya angestiftet worden seien. Wie die türkische Presse am Mittwoch berichtete, stellte sich inzwischen heraus, dass der Oberleutnant an den behördlichen Ermittlungen zum Tathergang beteiligt war.

Die protestantischen Gemeinden in der Türkei fürchten, dass eine mögliche Verwicklung des ultra-nationalistischen Milieus und von Behördenvertretern in dem Prozess unter den Teppich gekehrt werden soll. Ähnliche Befürchtungen werden in der armenischen Gemeinde immer wieder über den Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink laut. Dort gibt es viele Anzeichen für eine Verstrickung der Polizei.