An den Tatorten des Schreckens unterwegs

Der mit dem "Warum?"-Schild

Er ist der wahrscheinlich am häufigsten gefilmte und fotografierte Demonstrant Deutschlands. An fast jedem Tatort eines spektakulären Verbrechens oder bei Prozessen gegen Schwerkriminelle ist Timo Tasche zur Stelle. Dort stellt er seine mitgebrachten Schilder "Warum?", "Schon wieder" und Kerzen auf. Er demonstriert Betroffenheit. Warum eigentlich?

 (DR)

In seiner Wohnung in einer alten Zechensiedlung in Marl (Kreis Recklinghausen) hat Timo Tasche sein "Hauptquartier". Von dort sichtet er jeden Morgen per Internet die Meldungsflut und schaut, ob es tragische Ereignisse in Deutschland gegeben hat, die seinen Einsatz erfordern. Wird er fündig, kann es schon mal sein, dass Tasche sich mehrere Hundert Kilometer in sein Auto setzt. Um gegen Missstände in der Gesellschaft zu protestieren und seine Trauer auszudrücken, sagt er. Timo Tasche ist mittlerweile so etwas wie ein heimlicher Medienstar, seit Sommer 2001 sei er an rund 150 Tat-, Unglücks- und Gerichtsorten gewesen. Bilder von ihm gehen mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder durch die Medien.

"Ich sehe mich als Stellvertreter für jene Leute, die nicht kommen können", sagt Tasche, der arbeitslos ist und von "Hartz IV" lebt. Für jedes Ereignis denke er sich einen Spruch aus, den er auf ein Plakat oder ein Brett malt. Erst im November war er wegen des Todes von Lea-Sophie in Schwerin und des Mordprozesses "Hannah" am Landgericht Bonn unterwegs.

Timo Tasche demonstriert in ganz Deutschland Betroffenheit
Die Botschaften, die Tasche in seinem Keller auf die Schilder malt, hat er dort gesammelt. Inzwischen weiß der 27-Jährige, dass er vor allem mit kurzen, knappen Botschaften den Sprung auf Titelseiten oder ins Fernsehen schafft. So ist er vor allem für seine Schilder mit der "Warum?"-Frage und dem Statement "Schon wieder" aufgefallen, die er oft zeigt, wo Kinder getötet wurden.

Doch der Protest allein reicht ihm nicht, in seinem Opel Kadett führt Tasche auch stets Kerzen und Plüschtiere mit. Die drapiert er vor den Eingängen von Häusern, in denen Kinder eines unnatürlichen Todes starben. "Viele Leute legen dann noch weitere Sachen dazu", sagt Tasche. Auf diese Weise sind Dutzende kleiner Trauerschreine in Hauseingängen entstanden, die für einen Moment der Besinnung sorgen sollen.

Die Idee kam nach einem Mord
Dass Timo Tasche ist nicht überall mit seiner Form der Trauer gern gesehen. Nach dem Tod von drei Säuglingen im thüringischen Thörey hatten sich Anwohner darüber beschwert, dass er Kerzen und Plüschtiere am Haus abgelegt hatte. "Die hatten gefragt, wer denn den ganzen Mist wieder wegräumen soll. Da hab ich dann alles wieder eingepackt", erzählt Tasche.

Die Idee zu dieser Form des Dauerprotests sei ihm nach dem Mordfall Ulrike im brandenburgischen Eberswalde gekommen, erinnert sich Tasche. Im März 2001 habe er von dem Fall gelesen und sei dann selbst nach Eberswalde gefahren, um sich vor Ort ein Bild von dem Ereignis zu machen. Damals zeigte er sein erstes Schild ("Ulrike, du bleibst in unseren Herzen"), auch auf der Beerdigung sei er gewesen. Die Erlebnisse von damals hätten sich bei ihm "eingebrannt", einige Monate später habe er sich entschlossen, regelmäßig so zu protestieren.

"Da kann man sich große Einkäufe nicht leisten"
Viel Elend habe er seitdem gesehen. "Das Vertrauen in die Mitmenschen schwindet da schon", bedauert er. Den Vorwurf, dass es ihm nur um Öffentlichkeit und Selbstdarstellung gehe, weist er sofort zurück. "Dann müssten sich auch Politiker vorwerfen lassen, sie wollten nur ins Fernsehen." Ihm gehe es darum, durch seinen Einsatz tragische Ereignisse bekannter zu machen. "Ich bin nicht stolz auf die Popularität, aber die Medienresonanz ist eben wichtig."

Seine ausgedehnte Demo-Tätigkeit kann sich der Arbeitslose nur leisten, weil er konsequent auf andere Sachen verzichtet. "Da kann man sich große Einkäufe nicht leisten", erklärt er. Unterstützung hat er wenig, seine Mutter habe anfangs Bedenken gehabt. Vor allem die Ausgaben für Benzin schlagen ins Kontor - manchmal muss er anschreiben lassen, um wieder nach Hause zu kommen. Übernachten kann er vor Ort eh nur in seinem Auto.

Dass seine Protesteinsätze für ihn schon zur Sucht geworden sind, räumt Tasche durchaus ein. Dennoch denke er mittlerweile darüber nach, wie lange er noch so weitermachen will. "Mal sehen, was nächstes Jahr ist. Ich hoffe, dass nicht mehr so viel schlimme Ereignisse passieren", sagt er. Sollte es zu tragischen Zwischenfällen kommen, werde er aber vermutlich doch wieder dorthin fahren müssen. "Es ist schwierig, dann die Emotionen zurückzuhalten", sagt er und blickt so ernst wie immer.

Von ddp-Korrespondent Michael Bosse