Vor 25 Jahren: Kohl schreibt Honecker

An guten Beziehungen interessiert

Knapp zwei Monate nach seiner Wahl zum neuen Bundeskanzler diktierte Helmut Kohl am 29. November 1982 einen bemerkenswerten Brief: sein erstes offizielles Schreiben an den SED-Generalsekretär und DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Weitere sollten folgen.

 (DR)

Grundlage der Beziehungen
"Die neue Bundesregierung misst dem Verhältnis zur Deutschen Demokratischen Republik große Bedeutung bei", hieß es darin mit Datum vom 29. November 1982.

Der 1972 zwischen der Bundesrepublik und der DDR geschlossene Grundlagenvertrag und die nachfolgenden Abkommen und Vereinbarungen, betonte Kohl, bildeten weiterhin die Grundlage der Beziehungen der beiden deutschen Staaten. Die Bundesregierung sei an guten Beziehungen interessiert. Deshalb habe der Bundeskanzler alle damit befassten Bundesminister gebeten, "die laufenden Verhandlungen mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik fortzusetzen". Vornehmlich ging es dabei um den Ausbau des Reise- und Besucherverkehrs sowie der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen.

Im Führungskreis um Honecker wurde der Brief mit Erleichterung aufgenommen. Die DDR war vor allem aus wirtschaftlichen, aber auch sicherheitspolitischen Gründen daran interessiert, dass die von Helmut Schmidt (SPD) und seiner sozialliberalen Koalition verfolgte Deutschland-Politik ohne Bruch fortgesetzt werde. Als besonders bemerkenswert wurde das Bekenntnis des neuen Bundeskanzlers zum Grundlagenvertrag gewertet. Dieses noch unter der Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) geschlossene Vertragswerk war damals von der CDU/CSU scharf bekämpft worden, weil es die DDR offiziell als den anderen deutschen Staat anerkannte.

Mittelsmänner
Honecker, der bereits mit einem prestigeträchtigen - erst 1987 zustande gekommenen - Staatsbesuch in Bonn liebäugelte, sah sich in seinen Prognosen bestätigt. Während eine von Stasi-Minister Erich Mielke beeinflusste Gruppe im SED-Politbüro Honeckers "Westdrall" mit Misstrauen beobachtete und gerne eine neue Eiszeit in den Beziehungen zu Bonn gesehen hätte, hatte der oberste SED-Chef auf die schon seit Jahren laufenden Kontakte zu führenden Vertretern der CDU-Opposition gesetzt.

Als Mittelsmänner in diesem 1975 aufgenommenen Dialog fungierten vor allem zwei Politiker: Walther Leisler Kiep, CDU-Präsidiumsmitglied und Schatzmeister der Partei, sowie Herbert Häber, Leiter der Westabteilung im Zentralkomitee der SED. Beide trafen sich im Laufe der Jahre mehr als zwanzigmal.

Regelmäßiger Briefaustausch
Schon beim ersten Gespräch, notierte der dabei anwesende Leiter der Abteilung BRD im DDR-Außenministerium, Karl Seidel, habe Leisler Kiep versichert, dass es auch für die CDU/CSU keinen Spielraum für eine andere Linie der Ostpolitik gebe. Man sollte zwischen den Aussagen im Wahlkampf und der politischen Konzeption der CDU/CSU bei einer möglichen Regierungsübernahme unterscheiden. Leisler Kiep habe versichert, dass man an der von der SPD begonnenen Vertragspolitik festhalten werde.

"Ich nahm mir vor, mit Honecker gut auszukommen und suchte den direkten Kontakt zu dem gebürtigen Saarländer", vermerkte Kohl später in seinen Memoiren. So bildete sein erstes Schreiben an Honecker den Auftakt für einen regelmäßigen Briefwechsel, der bis 1989 insgesamt dreißig Schreiben umfasste. Was den DDR-Diplomaten Seidel in seinen Erinnerungen zu dem Kommentar veranlasste: "Es gibt wohl kaum ein anderes Beispiel in zwischenstaatlichen Beziehungen, dass die verantwortlichen Staatsmänner zweier Nachbarstaaten einen solch regelmäßigen Briefaustausch gepflegt haben."