Prozess wieder vertagt - Gefängnisseelsorger ruft im domradio Medien zur Zurückhaltung auf

"Weihnachten ohne Marco ist kein Weihnachten"

Marcos Familie muss befürchten, dass dieses Jahr an Weihnachten ein Familienmitglied unter dem Tannenbaum im Wohnzimmer in Uelzen fehlen wird. Nach Medienberichten vertagte das Gericht in Antalya am Dienstag erneut den Prozess gegen den Schüler. Der nächste Verhandlungstag ist nun für den 14. Dezember angesetzt. 223 Tage sitzt der 17-jährige Marco W. wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs einer 13-jährigen Britin nun schon in türkischer Untersuchungshaft. Der Wuppertaler Gefängnisseelsorger Günter Berkenbrink sorgt sich um eine Genesung Marcos nach einer möglichen Rückkehr und vergleicht den Fall mit deutschen Zuständen.

Autor/in:
Julia Spurzem
 (DR)

Nach der erneuten Vertagung des Missbrauchsprozesses gegen den 17 Jahre alten Marco W. hat sich sein Anwalt vorsichtig optimistisch gezeigt. Das türkische Gericht habe "offenbar" ein Signal gesetzt, und die Verteidigung sei ein Stück weiter, sagte Matthias Waldraff am Dienstag in Marcos Heimatstadt Uelzen. Die Verteidigung sei "nicht ohne Hoffnung", dass der seit April in der Türkei inhaftierte 17-Jährige Weihnachten zu Hause feiern kann.

Appelle können als Provokation verstanden werden
Der Anwalt rief die deutsche Öffentlichkeit zur Zurückhaltung auf. Selbst gutgemeinte Appelle könnten als Provokation und unseriöse Beeinflussung des türkischen Gerichts verstanden werden. "Sie schaden Marco, sie helfen nicht", warnte er. "Wir müssen Ruhe bewahren."

Marcos Bruder Sascha zeigte kein Verständnis für die Entscheidung der Richter. "Ich verstehe das Ganze einfach nicht mehr, und man ist einfach sehr hilflos", sagte er in Uelzen. Er wünsche sich sehr, dass seine Familie Weihnachten zusammen verbringen könne.

Mahnwache am Brandenburger Tor
Unterdessen erhält Marco Unterstützung von Freunden und Bekannten in Deutschland. Mehr als 100 Menschen machten am Samstag in Berlin auf sein Schicksal aufmerksam. Zu einer Mahnwache am Brandenburger Tor kam neben Marcos Bruder Sascha auch einer seiner Anwälte, Matthias Waldraff.

Sascha W. sagt, er kämpfe seit Monaten für seinen Bruder. "Ich kenne ihn einfach am besten. Es ist unfassbar", fügt der 20-Jährige sichtlich bewegt hinzu. "Ich weiß, dass er unschuldig ist, und vermisse ihn sehr." Er berichtet, dass Marco von der Mahnwache in Berlin wisse und sich über die Unterstützung freue.

Waldraff will sich derzeit zum Verfahren in der Türkei nicht äußern. Als Grund nennt er, "jede kleine Äußerung kann zu Spekulationen und Missverständnissen führen". Zur Verfassung des Schülers sagt der Verteidiger, es gehe seinem Mandanten schlecht. Er sei psychisch angeschlagen und leide an Asthma und Neurodermitis. Neben Berlin waren am Wochenende auch in Frankfurt am Main und München Mahnwachen geplant.

Mehrere Male wurde der Prozess schon wegen des Fehlens der Aussage vertagt. Doch auch mit Vorliegen des Protokolls wird es weiter zwei unterschiedliche Auffassungen darüber geben, was am Abend des 12. April tatsächlich im Voyage Sorgun Select Hotel in Side passierte.

Charlotte soll Marco in ihrer Aussage schwer belasten. So beschuldigt sie ihn ausdrücklich der versuchten Vergewaltigung. Sie habe auf dem Bett geschlafen und sei von einem Schmerz im Unterleib wachgeworden, heißt es laut Medienberichten in dem Aussageprotokoll. Sie habe Marco einen Schlag verpasst und ihn weggeschubst. Daraufhin habe er von ihr abgelassen. Der Jugendliche beschreibt die Situation ganz anders. Nach seiner Version kam es zu einvernehmlichen Zärtlichkeiten.

Zeugen wurden in dem Prozess bisher kaum gehört. Auch wenn dadurch das Verfahren verlängert würde, ist das aus Sicht der Anwälte von Marco dringend erforderlich. Auch müsse sich das Mädchen den Fragen der Verteidiger stellen. "Die Aussage von Charlotte ist nicht verwertbar", sagt Marcos Anwalt Michael Nagel. Gleichzeitig sehen die Anwälte die vor der britischen Polizei gemachten Angaben Charlottes wegen enthaltener Unstimmigkeiten als Beweis dafür an, dass Marco unschuldig sei. Den Gang vor den Europäischen Gerichtshof wollen sie deshalb womöglich noch verschieben.

Als ob der Fall nicht schon kompliziert genug wäre, sorgte kürzlich auch der Vorsitzende Richter für Verwirrung. Er hatte beantragt, das Verfahren gegen Marco abzugeben. Der Antrag wurde vom Gericht abgelehnt, eine Begründung fehlt bis heute.

Inzwischen können auch Freunde und Bekannte von Marco kaum noch abschätzen, was am Dienstag in Antalya passieren wird. "Was wir hoffen, ist klar, aber was passiert, weiß keiner", sagt Frank Preetz, einer der Organisatoren der Mahnwache. Mit Blick auf Weihnachten gehe es jetzt um den "Seelenfrieden der beiden Familien". Deshalb solle Marco endlich freikommen, sagt Preetz und fügt hinzu, was Marcos Vater erst kürzlich zu ihm sagte: "Weihnachten ohne Marco ist kein Weihnachten".