Amnesty: Deutsche ISAF-Soldaten indirekt an Misshandlungen beteiligt

Folter made in Germany?

Die Vorwürfe der Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) über Folterungen afghanischer Gefangener wiegen schwer. Die von der NATO geführte ISAF-Schutztruppe übergebe Gefangene an afghanische Behörden. Dort würden sie dann gefoltert oder auf andere Weise misshandelt, teilte die Organisation mit und sorgte damit am Dienstag für Empörung bei der Opposition. Verena Harpe, Afghanistan-Expertin bei ai erläutert die Vorwürfe im domradio.

 (DR)

Nach den Einsatzregeln müssen die ISAF-Truppen in Afghanistan Festgenommene binnen 96 Stunden an die afghanischen Behörden übergeben. Aus Bundeswehrkreisen in der afghanischen Hauptstadt Kabul hieß es, dass auch die Bundeswehr Gefangene überstellt habe. Sie habe allerdings keine Kenntnis darüber, dass diese Menschen gefoltert worden seien. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte auf ddp-Anfrage in Berlin: "Wir haben keine Erkenntnisse über derartige Vorfälle."

Abgeordnete des Bundestages verlangten Aufklärung. Grünen-Geschäftsführer Volker Beck sagte, deutsche Soldaten seien dazu verpflichtet, die Menschenrechte einzuhalten. FDP-Fraktionvize Birgit Homburger beantragte einen Bericht der Bundeswehr im Verteidigungsausschuss. Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold verlangte internationale Überprüfungen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), sagte, wenn die Vorwürfe zuträfen, müsse sich die ISAF überlegen, wie mit Gefangenen umzugehen sei.

Das Einsatzführungskommando in Potsdam, das die deutschen Soldaten am Hindukusch führt, wollte keine Erklärung abgeben. Aus diplomatischen Kreisen in Kabul erfuhr ddp, dass die Bundesregierung "intensiv bemüht ist, in einem bilateralen Abkommen mit der afghanischen Regierung festzulegen, dass die von der Bundeswehr übergebenen Gefangenen nicht gefoltert oder sonst irgendwie misshandelt werden dürfen". Andernfalls würde die Bundeswehr keine festgenommenen Afghanen oder andere Personen mehr überstellen. Aus westlichen Geheimdiensten war in Kabul zu erfahren, dass die Vorwürfe von ai "nicht aus der Luft gegriffen sind".

Internationale Konventionen verbieten es, Gefangene auszuliefern, wenn ihnen Folter droht. NATO-Sprecher James Appathurai erklärte in Brüssel, der ISAF lägen keine Hinweise auf eine Misshandlung von Gefangenen vor, die von NATO-Truppen in afghanische Hände übergeben worden sind. Afghanistan sei ein souveräner Staat, der selbst die rechtliche und humane Verantwortung für die in seine Obhut übergebenen Menschen trage.

Die afghanische Regierung hat die Vorwürfe von ai "mit Betroffenheit zur Kenntnis genommen". Die afghanischen Gesetze erlaubten Folterungen grundsätzlich nicht. Präsident Hamid Karsai hatte jedoch zugegeben, dass es bei seinen Sicherheitskräften, insbesondere beim Geheimdienst NDS, zu Misshandlungen von Gefangenen "gekommen sein könnte". Es gebe trotz aller Bemühungen, rechtliche und humane Verhältnisse zu schaffen, "immer noch Fälle, in denen Gefangene bedroht oder sogar gefoltert wurden", hatte Karsai eingeräumt.

Amnesty forderte den Stopp der Überstellungen und freien Zugang zu den afghanischen Haftanstalten für unabhängige Beobachter. In dem 41 Seiten umfassenden ai-Report wird ausgeführt, dass Gefangene vom NDS ausgepeitscht, extremer Kälte ausgesetzt oder nicht ausreichend mit Nahrung versorgt worden seien. Ein britischer TV-Sender habe gefilmt, wie Angehörige des NDS einen festgenommenen Afghanen mit der Hinrichtung gedroht hätten, falls er weiter nicht aussagen wolle. ai warf der ISAF vor, sich letztlich "indirekt an Folter und Misshandlungen in Afghanistan zu beteiligen".